2.6 Die Marienburg in Polen

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:Dem Osten zugewandt.
:Dem Osten zugewandt.
:- Rudolph Genée: Marienburg. Historischer Roman. Berlin 1884, S. VII.
:- Rudolph Genée: Marienburg. Historischer Roman. Berlin 1884, S. VII.
==Die polnische Wahrnehmung==
In der polnischen Belletristik, Geschichtsschreibung und Malerei wurde hingegen der Sieg des polnisch-litauischen Doppelreichs 1410 zum Höhepunkt einer Meisternarration, der in den Zeiten der Teilung als historisch-politischer Mythos in nationaler Erbauung dem Widerstand gegen die Fremdherrschaft dienen sollte. Spiegelbildlich zur deutschen Traditionslinie der borussischen Historiografie wurde in Polen eine Verbindung zwischen dem Deutschen Orden, dem Staat Preußen und dem deutschen Kaiserreich hergestellt, die einen anhaltenden „deutschen Drang nach Osten“ belegen sollte. Bereits die polnische Romantik, vor allem der Schriftsteller Juliusz Słowacki (1809-1849), hatte den Orden als finstere, durch religiösen Fanatismus und übertriebenen weltlichen Machtanspruch gekennzeichnete Autorität ausgewiesen und damit die Grundlage für das auf alle Deutschen übertragene Stereotyp des ''krzyżak'' (Kreuzritter) geschaffen. Auch wenn der wohl bekannteste polnische Dichter des 19. Jahrhunderts, Adam Mickiewicz, sich mit seinem Drama Konrad Wallenrod (1828) kurz vor dem polnischen Novemberaufstand 1830/31 politisch primär gegen die russische Teilungsmacht richtete, symbolisierte die Marienburg auch hier Zwang und Unterdrückung. Unter dem Druck zunehmender Germanisierung im preußisch-deutschen Teilungsgebiet in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Deutsche Orden auch im zentralen Werk ''Jadwiga i Jagiello'' (1855/56) des polnischen Historikers Karol Szajnocha als frühe Inkarnation des „deutschen Drangs nach Osten“ interpretiert. Nach dem polnischen Januaraufstand 1863/64 verstärkte sich die Anziehungskraft des Grunwald-Mythos, der die Überwindung eines übermächtig erscheinenden Gegners in gewollter Analogie zur Gegenwart demonstrierte, wie die hohe Popularität des Gemäldes ''Bitwa pod Grunwaldem'' (1875-1878), geschaffen durch den bekannten Historienmaler Jan Matejko, belegte. Die wohl breitenwirksamste literarische Auseinandersetzung mit der Grunwald-Thematik lieferte der spätere Nobelpreisträger Henryk Sienkiewicz mit seinem Roman ''Krzyżacy'' (1900), an dessen Ende in epischer Schilderung die degenerierten „Kreuzritter“ ihre gerechte Strafe durch die militärische Niederlage und den Tod erhielten. Sienkiewiczs außerordentlich erfolgreicher Roman, der zusammen mit Matejkos Gemälde die Vorstellung von der Schlacht bei Grunwald / Tannenberg in Polen maßgeblich prägte, hatte seinen populärsten Nachklang in der zum 550. Jahrestag des polnischen Sieges von 1410 durch die kommunistische Regierung Polens in Auftrag gegebenen Verfilmung des Regisseurs Aleksander Ford (1908-1980). <br />
Der polnische Schriftsteller Henry Sienkiewicz 1900 in seinem Roman Krzyżacy:
:Musste denn nicht schon allein der Anblick von Marienburg das Herz eines jeden Polen mit Schrecken erfüllen, der Anblick dieser aus dem Hochschloss, dem Mittelschloss und der Vorburg bestehenden Feste, mit der keine Burg auf der ganzen Erde auch nur annähernd verglichen werden konnte.
:- Henryk Sienkiewicz: ''Krzyżacy'' [1900]. T. 2, Warszawa 1955, S. 377. Übersetzt in: Christoph Garstka: „Das Kreuz mit den Rittern“. Die Darstellung der Ordensritter in der polnischen Literatur des 19. Jahrhunderts. In: Bernd Ulrich Hucker / Eugen Kotte / Christine Vogel (Hg.).: Die Marienburg. Vom Machtzentrum des Deutschen Ordens zum mitteleuropäischen Erinnerungsort. Paderborn / München / Wien / Zürich 2013, S. 173-186, hier S. 173.

Revision as of 13:18, 3 July 2019

Symbol im Wandel: die Marienburg in Polen – ein europäischer Erinnerungsort

Eugen Kotte

Die Marienburg in Polen, größte Landburg Europas, wurde durch ihre im Verlauf der Jahrhunderte wechselnden Besitzer vom Deutschen Orden über das Königreich Polen bis hin zu Preußen-Deutschland und nach 1945 erst die Volksrepublik und dann die Republik Polen architektonisch, funktional und als nationales Symbol mehrfach umgestaltet und unterschiedlich genutzt, so dass sie nun einen europäischen Erinnerungsort mit multilateraler Ausstrahlung bildet.

Marienburg.jpg

Mittelalterlicher Konventssitz und Grenzfestung

Nachdem der Deutsche Orden (Herren des Hauses der Heiligen Maria der Deutschen zu Jerusalem) 1230 dem Ruf nach Bekehrung der paganen Prussen gefolgt war, wurde spätestens im Jahre 1276 mit dem Bau des ältesten Teils der Marienburg (castrum sanctae Marienburch), seit dem 16. Jahrhundert „Hochschloss“ genannt, begonnen. Die Lage an der westlichen Peripherie des entstehenden Ordensstaates spricht für die Nutzung als Grenzfestung. Ab 1280 ist der erste Ordenskonvent unter dem Komtur Heinrich von Wilnowe nachweisbar. Die bis 1300 nahezu vollendete Gestaltung der Burg als regelmäßiges Viereck nach Art der zeitgenössischen Klosterburg entsprach der mönchischen Orientierung des Ritterordens. Benannt wurde die Burg nach der Schutzpatronin des Deutschen Ordens, der Gottesmutter Maria, der auch die Kapelle geweiht wurde. Auch nach der Übersiedlung des Hochmeisters von Venedig nach Marienburg bildete das Hochschloss weiterhin einen Klausurbereich, der in der Regel nur von Ordensmitgliedern betreten werden durfte.

Zentrale des Deutschen Ordens

Nachdem der Hochmeistersitz des Deutschen Ordens nach dem Fall Akkons in Palästina (1291) bereits nach Venedig zu verlegt worden war, schien er auch dort – mit Blick auf den Häresieprozess gegen die Oberen des Templerordens ab 1307 – gefährdet. Damit geriet die Marienburg in den Blick des Hochmeisters Siegfried von Feuchtwangen, der 1309 nach der Eroberung Pommerellens durch den Deutschen Orden dorthin übersiedelte. Doch erst sein zweiter Nachfolger Werner von Orseln erhob die Burg durch Einrichtung einer zentralen Kanzlei zum administrativen Mittelpunkt des Deutschen Ordens und seines Staates. Die bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts nördlich angelegte Vorburg wurde – parallel zur 1347 begonnenen Errichtung eines an englischen und burgundischen Vorbilder orientierten, viereckigen Wohnturms als Hochmeisterpalast mit großen Empfangs- und Esssälen (Großer Remter und Sommerremter) – zu einem Repräsentationskomplex umgestaltet, in dem die aus verschiedenen europäischen Ländern stammenden adligen Gäste empfangen wurden. Im nördlichen Vorfeld dieses heute „Mittelschloss“ genannten Teils wurde eine neue Vorburg mit Wirtschafts- und Gesindegebäuden sowie einem Spital und der St.-Lorenzkirche für die Bediensteten angelegt. Die veränderte geostrategische Lage des Bauwerks, die Konzentration der wichtigsten Amtsträger des Deutschen Ordens (Gebietiger) in der Burg und ihre zunehmende ökonomische Bedeutung als Einnahmezentrum des Ordensstaates korrespondierten mit der abnehmenden militärischen Funktion. Ihre dennoch beeindruckenden Befestigungsanlagen, die im 15. Jahrhundert nach dem polnisch-litauischen Sieg über den Deutschen Orden bei Grunwald / Tannenberg (1410) und der erfolgreichen Verteidigung der Marienburg gegen das polnisch-litauische Heer durch den späteren Hochmeister Heinrich von Plauen um eine massive Verteidigungsmauer mit halbzylindrigen Basteien zur Aufstellung von Kanonen ergänzt wurden, dienten auch der Machtdemonstration des Deutschen Ordens gegenüber seinen Untertanen. Überdies war die Marienburg durch die Besuche auswärtiger Fürsten und westeuropäischer Adliger, die an Kreuzzügen gegen die Litauer, sogenannten Reisen als einem Kernelement europäischer Adelskultur, teilnehmen wollten, auch ein Kommunikationszentrum innerhalb und außerhalb des Deutschen Ordens.

Unter polnischer Herrschaft

Die für den Deutschen Orden verheerende Niederlage in der Schlacht von Grunwald / Tannenberg (1410) und der finanziell belastende Erste Thorner Friede (1411), aber noch mehr der als Konflikt mit den Ständen des Ordenslandes ausgebrochene Dreizehnjährige Krieg (1454-1466), in dessen Verlauf nicht bezahlte Söldner 1457 die Marienburg an den polnischen König Kazimierz IV. verkauften, beschleunigten den Niedergang des Ordens. Zwar erfolgte eine zeremonielle Inbesitznahme der Burg durch den feierlichen Einzug des polnischen Königs, die Huldigung der Einwohner Marienburgs sowie die Installation der Hoheitszeichen. Doch in der Folgezeit hatte die Marienburg für die Herrschaftsrepräsentation des polnischen Königs trotz Errichtung einer Residenz im Hochmeisterpalast keine zentrale Bedeutung mehr. Dagegen erfüllte sie in der Frühen Neuzeit eine ganze Reihe wichtiger regionaler Funktionen: Sie war Sitz des Starosten und des Schatzmeisters des Königlichen Preußens sowie des königlichen Ökonomen, Zentrum der gleichnamigen Wojewodschaft und Versammlungsort für die Landtage der Wojewodschaft (sejmiki) sowie – abwechselnd mit Graudenz / Grudziądz – für den Preußischen Generallandtag. Ab dem 17. Jahrhundert weilten mit Unterbrechungen durch den Dreißigjährigen Krieg bis zur Auflösung ihres Ordens in Preußen 1780 Jesuitenpatres im Hochschloss, die der Marienkapelle eine barocke Ausstattung mit dem Gnadenbild der heiligen Maria stifteten. Den Ruf der Uneinnehmbarkeit, den die Marienburg seit ihrer erfolgreichen Verteidigung durch den Deutschen Orden im Jahre 1410 besaß, verlor das Bauwerk allerdings in seiner Zeit als königlich-preußisches Verwaltungszentrum: Es wurde – noch immer von militärstrategischer Bedeutung – während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) und im Zweiten Nordischen Krieg (1655-1660/61) gleich zweimal von den Schweden besetzt.

Restaurierungsbemühungen in "romantischer Vision"

Vgl. Mariusz Mierzwiński: Die Marienburg. Warszawa 1993, S. 30.

Mit der Ersten Teilung Polens fiel die Marienburg 1772 an Preußen. Friedrich II. nahm nur ein einziges Mal die aus der polnischen Königszeit überkommene Funktion der Marienburg in Anspruch, als er sich dort durch die Preußischen Stände huldigen ließ. Generell aber wurde die Geschichte des Ordens durch den König als ein dem Königreich Preußen wesensfremdes Element betrachtet; er verbot sogar ausdrücklich die Bezugnahme des nun „vereinten“ West- und Ostpreußen auf die Ordensvergangenheit. Entsprechend wurde die Marienburg durch Einrichtung einer Kaserne mit einem Exerzierplatz im Großen Remter des Mittelschlosses sowie Magazinen im Hochschloss in ruinöser Weise geschädigt und verfiel schließlich durch die von preußischen Beamten angeordnete Baumaterialgewinnung. Ende des 18. Jahrhunderts wurde ein Abrissplan vorgelegt, der nur aufgrund der hohen Kosten nicht realisiert wurde. Im Zuge einer Inspektionsreise des Oberbaurats für das staatliche Bauwesen in Westpreußen, David Gilly, fertigte dessen Sohn Friedrich Gilly Zeichnungen der spätgotischen Backsteingebäude an, die 1795 in der Berliner Akademie ausgestellt und vier Jahre als großformatige Serie herausgegeben wurden.

Als der ebenfalls von der Marienburg begeisterte Schriftsteller Max von Schenkendorf (1783-1817) einen leidenschaftlichen Aufruf zur Erhaltung der Marienburg als Denkmal der preußischen Geschichte in der Berliner Zeitung „Der Freimüthige“ veröffentlichte, erließ König Friedrich Wilhelm III. eine Cabinetts-Ordre zum Erhalt des Bauwerks (1804). Vorbereitet und begleitet wurde diese Sinnesänderung durch einen langsam einsetzenden Wandel der im 18. Jahrhundert negativen Beurteilung des Deutschen Ordens als rückständige Macht des Mittelalters, wie er sich etwa in August von Kotzebues noch von der Spätaufklärung beeinflussten Schauspiel Heinrich Reuß von Plauen, oder die Belagerung von Marienburg (1805) abzeichnete: Die Niederlage von Grunwald / Tannenberg wurde mit der in den Mittelpunkt gerückten, glorifizierten Verteidigung der Marienburg durch den standhaften Heinrich von Plauen, der zudem noch einem feigen Mordanschlag im Sommerremter des Hochmeisterpalastes entgeht, überdeckt – eine narrativ-inhaltliche Grundstruktur, der alle bekannteren deutschen literarischen Darstellungen des Marienburg-Themas von Joseph von Eichendorf (Der letzte Held von Marienburg, 1830) über Ernst Wichert (Heinrich von Plauen, 1877) bis Rudolph Genée (Marienburg, 1884) folgten. Seit 1815 trieb Theodor von Schön (1773-1856) als Oberpräsident von Westpreußen den Wiederaufbau der noch einigermaßen erhaltenen Burgteile voran. Aus dem Kreise der preußischen Reformer kommend, sah er den Orden als Vorform einer konstitutionell verfassten Ständegesellschaft, deren identitätsstiftendes Symbol für eine nach den Napoleonischen Kriegen in Deutschland geforderte einheitliche und freiheitliche Nation die Marienburg sein sollte.

Der spätere preußische König Friedrich Wilhelm IV. verstand dagegen den Orden als Verfechter des monarchischen Prinzips, dessen architektonische Versinnbildlichung die Marienburg als steingewordene Legitimation preußischer Ansprüche in Ostmitteleuropa darstellte. Mit dieser preußisch-etatistischen Vereinnahmung begann die Restaurierung durch den zuständigen leitenden Beamten der Berliner Oberbaudeputation, Karl Friedrich Schinkel. Die Wiederherstellungsarbeiten bezogen sich zunächst auf das Mittelschloss und umfassten eine weitgehende architektonische Neuinterpretation dieser Gebäudeteile, am auffälligsten zu beobachten an den im Mittelschloss aufgesetzten Zinnenkränzen und im Programm der Glasmalereien für die beiden Remter des Hochmeisterpalastes. So wurden im Großen Remter von den Städten und Ständen Westpreußens gestiftete, durch den Vedutenmaler Johann Anton Breysig gestaltete Fenster eingesetzt, mit denen die historische Kontinuitätskonstruktion durch einen Brückenschlag zur Zeitgeschichte veranschaulicht werden sollte, indem z. B. ein preußischer Landwehrmann aus der Zeit der Napoleonischen Kriege mit einem Ordensritter parallelisiert wurde. Schön schrieb dazu an Schinkel:

Ohne deutschen Ordensritter […] zwar kein Kopernik, kein Kant, kein Herder […] und – kein Landwehrmann, aber die Blüte ist schöner als der Stamm, und die Blume ist dem Himmel näher als die Wurzel.
- Theodor von Schön an Karl Friedrich Schinkel: Schreiben vom Oktober 1821. In: Hartmut Boockmann: Die Marienburg im 19. Jahrhundert. Frankfurt a. M. / Berlin / Wien 1982, S. 143.

Kontroverser verliefen die Planungen zu den Verglasungen des Sommerremters, die Hauptereignisse der Geschichte des Deutschen Ordens in einem Historienzyklus, überwiegend gestaltet durch den Maler Karl Wilhelm Kolbe, darstellen sollten. Hier konnte Schön gegen den vom Kronprinzen unterstützten Schinkel durchsetzen, entsprechend der bereits verbreiteten literarischen Strategie nicht die Schlacht von Grunwald / Tannenberg, sondern die erfolgreiche Verteidigung der Marienburg aufzunehmen und dem Bildprogramm eine deutlich nationalpatriotische Zuspitzung, basierend auf der Zuarbeit des Königsberger Archivars und Historikers Johannes Voigt, zu geben. Voigt, der historiografisch die positive Umdeutung der Ordensgeschichte mit seinem opulenten Werk zur Geschichte Preußens, von den ältesten Zeiten bis zum Untergang des deutschen Ordens (1827-1839) anstieß, interpretierte die Marienburg als sichtbare Repräsentation einer deutschen Kulturleistung im Osten, deren zukünftige Aufgabe er bei einem preußisch geführten Deutschland sah. Er traf sich in dieser Beurteilung mit dem Schriftsteller Joseph von Eichendorff, der in einer von Schön angeregten, zwar die liberalen Vorstellungen des Vormärzes reflektierenden, gleichermaßen aber auch die zunehmend polenfeindlichen Tendenzen aufnehmenden Denkschrift 1844 die Marienburg ganz im Sinne Schöns als nationales Geschichtsdenkmal würdigte. In dieser Trias von historiografischer Bedeutungszuweisung, literarischer Gestaltung und architektonischer Wieder- und Neuentstehung erschien die Marienburg in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als sichtbares Symbol der harmonisierenden Intentionen dynastischer Traditionsbildung, preußisch-etatistischer Ursprungspflege und nationaler Rückbesinnung.

Der deutsche Historiker Johannes Voigt 1823 zur Bedeutung der Marienburg:

Wahrlich! Die Geschichte könnte immerhin schweigen; diese Burg würde laut genug von der Tiefe des Gemüths und dem hohen Geistesflug der Menschen zeugen und erzählen, die vor Zeiten dieses Land gewonnen und zu deutscher Bildung und Sitte gebracht haben.
- Johannes Voigt: Das Ordenshaus Marienburg in Preussen. 3., verb. Aufl., Königsberg 1823, S. 3.

Der deutsche Schriftsteller Joseph von Eichendorff 1844 in seiner Denkschrift zum Wiederaufbau der Marienburg:

Und so erhob sich denn rasch und unerwartet die alte Marienburg, indem der König sie vor der Unbill der Zeiten in Schutz nahm und sein Volk sich getreulich um ihn scharte, als ein wahrhaftes Nationalwerk.
- Joseph von Eichendorff: Die Wiederherstellung ders Schlosses der deutschen Ordensritter zu Marienburg [1844]. In: Die Marienburg. 32 Bilder. Text von Joseph von Eichendorff. Königstein, Ts. / Leipzig o. J., S. 3-32, hier S. 23.

Der historistische Wiederaufbau

Wenige Jahre nach den Revolutionen von 1848 forderte der erste Konservator in Preußen Friedrich von Quast archäologische und historische Studien als Bedingung eines möglichst originalgetreuen Wiederaufbaus, die dann mit den 1882 anlaufenden Rekonstruktionsarbeiten unter der Leitung des Architekten Conrad Steinbrecht verbunden wurden. Vorangegangen war eine erneute Umwertung der Geschichte des Deutschen Ordens durch direkte politische Indienstnahme: Die Marienburg wurde in dieser Deutung zur Schutzbastion der aus dem Osten drohenden Gefahr. Noch vor der Gründung des Deutschen Reiches (1871) erweiterte der preußische Historiker Heinrich von Treitschke die Überzeugung von einer zivilisatorischen Mission Preußen-Deutschlands in Mitteleuropa zur nationalistischen und tendenziell auch rassistischen Feststellung über slavische Kulturlosigkeit. Treitschke nutzt die polnische Herrschaft über die Marienburg als pars pro toto im Kontext der stereotypen Abwertung der Polen durch die Unterstellung von Chaos, Raubgier, Unfähigkeit und Unehrlichkeit. Auch literarisch schlug sich diese im Bedeutungsfeld des negativen Stereotyps der „polnischen Wirtschaft“ als Gegenpol zur entsprechend glorifizierten deutschen Entwicklung angelegte Beurteilung besonders seit der Reichsgründung 1871 z. B. in Rudolph Genées Roman Marienburg (1884) nieder, in dem die historische Kontinuität des Deutschen Reiches unter preußischer Führung zum Deutschordensstaat beschworen und die Marienburg als sichtbares Zeugnis und manifester Auftrag deutscher Kulturleistungen im Osten ausgewiesen wurde. Beeinflusst von diesem Gedankengut konnten die Bauarbeiten im Hoch- und Mittelschloss bis 1923 weitgehend abgeschlossen werden. In diese Zeit fiel auch die Vereinnahmung der Marienburg durch Kaiser Wilhelm II. zum Zwecke seiner nicht mehr zeitgemäßen Herrschaftsinszenierung, die gleichzeitig der dynastischen Traditionsbildung diente und 1902 in seiner berüchtigten antipolnischen Marienburger Rede gipfelte. Nach dem Tode Steinbrechts wurden die Rekonstruktionsarbeiten bis 1944 unter der Leitung des letzten deutschen Baurats auf der Marienburg, Bernhard Schmid, beendet, doch das Bauwerk wurde im selben Jahr noch durch deutsche Kommandostellen zur Festung erklärt und Anfang 1945 in zweimonatigen Kämpfen durch sowjetischen Beschuss in ein Trümmerfeld verwandelt.

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Der deutsche Historiker Heinrich von Treitschke 1862 über die Marienburg in polnischer Zeit:

Zwischen den Pfeilern der Remter zog der Pole dünne Wände, weil er der Kühnheit der deutschen Gewölbe nicht traute, und die ernste Wahrhaftigkeit des Ziegelrohbaus ward bedeckt mit der lügenhaften Hülle des Gipses.
- Heinrich von Treitschke: Das deutsche Ordensland Preußen. In: Preußische Jahrbücher 10 [1862], S. 95-151, hier S. 147.

Der deutsche Schriftsteller Rudolph Genée 1884 im Prolog zu seinem Roman Marienburg:

Ein Denkmal alter Zeiten
Im neuen Vaterland
Stehst Du als deutsche Warte
Dem Osten zugewandt.
- Rudolph Genée: Marienburg. Historischer Roman. Berlin 1884, S. VII.


Die polnische Wahrnehmung

In der polnischen Belletristik, Geschichtsschreibung und Malerei wurde hingegen der Sieg des polnisch-litauischen Doppelreichs 1410 zum Höhepunkt einer Meisternarration, der in den Zeiten der Teilung als historisch-politischer Mythos in nationaler Erbauung dem Widerstand gegen die Fremdherrschaft dienen sollte. Spiegelbildlich zur deutschen Traditionslinie der borussischen Historiografie wurde in Polen eine Verbindung zwischen dem Deutschen Orden, dem Staat Preußen und dem deutschen Kaiserreich hergestellt, die einen anhaltenden „deutschen Drang nach Osten“ belegen sollte. Bereits die polnische Romantik, vor allem der Schriftsteller Juliusz Słowacki (1809-1849), hatte den Orden als finstere, durch religiösen Fanatismus und übertriebenen weltlichen Machtanspruch gekennzeichnete Autorität ausgewiesen und damit die Grundlage für das auf alle Deutschen übertragene Stereotyp des krzyżak (Kreuzritter) geschaffen. Auch wenn der wohl bekannteste polnische Dichter des 19. Jahrhunderts, Adam Mickiewicz, sich mit seinem Drama Konrad Wallenrod (1828) kurz vor dem polnischen Novemberaufstand 1830/31 politisch primär gegen die russische Teilungsmacht richtete, symbolisierte die Marienburg auch hier Zwang und Unterdrückung. Unter dem Druck zunehmender Germanisierung im preußisch-deutschen Teilungsgebiet in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Deutsche Orden auch im zentralen Werk Jadwiga i Jagiello (1855/56) des polnischen Historikers Karol Szajnocha als frühe Inkarnation des „deutschen Drangs nach Osten“ interpretiert. Nach dem polnischen Januaraufstand 1863/64 verstärkte sich die Anziehungskraft des Grunwald-Mythos, der die Überwindung eines übermächtig erscheinenden Gegners in gewollter Analogie zur Gegenwart demonstrierte, wie die hohe Popularität des Gemäldes Bitwa pod Grunwaldem (1875-1878), geschaffen durch den bekannten Historienmaler Jan Matejko, belegte. Die wohl breitenwirksamste literarische Auseinandersetzung mit der Grunwald-Thematik lieferte der spätere Nobelpreisträger Henryk Sienkiewicz mit seinem Roman Krzyżacy (1900), an dessen Ende in epischer Schilderung die degenerierten „Kreuzritter“ ihre gerechte Strafe durch die militärische Niederlage und den Tod erhielten. Sienkiewiczs außerordentlich erfolgreicher Roman, der zusammen mit Matejkos Gemälde die Vorstellung von der Schlacht bei Grunwald / Tannenberg in Polen maßgeblich prägte, hatte seinen populärsten Nachklang in der zum 550. Jahrestag des polnischen Sieges von 1410 durch die kommunistische Regierung Polens in Auftrag gegebenen Verfilmung des Regisseurs Aleksander Ford (1908-1980).

Der polnische Schriftsteller Henry Sienkiewicz 1900 in seinem Roman Krzyżacy:

Musste denn nicht schon allein der Anblick von Marienburg das Herz eines jeden Polen mit Schrecken erfüllen, der Anblick dieser aus dem Hochschloss, dem Mittelschloss und der Vorburg bestehenden Feste, mit der keine Burg auf der ganzen Erde auch nur annähernd verglichen werden konnte.
- Henryk Sienkiewicz: Krzyżacy [1900]. T. 2, Warszawa 1955, S. 377. Übersetzt in: Christoph Garstka: „Das Kreuz mit den Rittern“. Die Darstellung der Ordensritter in der polnischen Literatur des 19. Jahrhunderts. In: Bernd Ulrich Hucker / Eugen Kotte / Christine Vogel (Hg.).: Die Marienburg. Vom Machtzentrum des Deutschen Ordens zum mitteleuropäischen Erinnerungsort. Paderborn / München / Wien / Zürich 2013, S. 173-186, hier S. 173.