Valdis Tēraudkalns, Ņikita Andrejevs, Anders Fröjmark, Giedrius Janauskas
Der Fall Lettland
Die unterschiedlichen Narrative über die Einführung des christlichen Glaubens in Lettland sind ein politisiertes Feld, in dem verschiedene religiöse und politische Loyalitäten aufeinanderprallen. Baltisch-deutsche Autoren haben häufig die humanitäre und kulturelle Rolle der ersten deutschen Händler und Geistlichen betont, die sich im Gebiet des heutigen Lettlands niedergelassen haben. Lettische und russische Autoren, die zum orthodoxen Glauben gehören, haben die Bedeutung der russischen Kolonien in Lettgallen, dem östlichen Teil Lettlands, vor der deutschen Eroberung herausgestellt. Andere Gruppen (lettische Nationalisten oder Neuheiden) sehen die deutsche Herrschaft als eine 800-jährige Zeit der Sklaverei und malen alle christlichen Einflüsse in schwärzesten Farben – sei es aus dem Osten oder aus dem Westen.
Es gibt nur wenige schriftliche Quellen aus dieser Zeit. Die Chronik des Heinrich von Livland entstand im 13. Jahrhundert und ihr unbekannter Autor beschreibt die Christianisierung der Region aus deutscher Sicht. Die Chronik lässt vermuten, dass es in Lettgallen christliche Kirchen gab und einige Lettgalen, wie Visvaldis, der Herrscher von Jersika, im orthodoxen Glauben getauft waren. Den Quellen ist jedoch nicht zu entnehmen, ob die Kirchen nur für die Andacht örtlicher russischer Gemeinschaften von Händlern und Soldaten erbaut wurden oder auch zum Zweck der Missionierung. Auch ist nicht klar, ob der Glaube einiger Herrscher und ihrer Leute vorwiegend durch religiöse Überzeugungen motiviert oder das Ergebnis politischer bzw. diplomatischer Überlegungen war. Die Chronik erwähnt, dass die Söhne des Tālivaldis (Herrscher von Tālava) einen Gesandten des katholischen Bischofs Albert aufsuchten, um den „russischen Glauben“ gegen den römisch-katholischen auszutauschen und sich dadurch die militärische Unterstützung der Deutschen gegen litauische und estnische Eroberer zu sichern. Archäologen haben in Lettgallen Grabstätten mit Kreuzen entdeckt, in denen die Verstorbenen nach Osten ausgerichtet waren. Andererseits wurden Anhänger mit Kreuzen nur in den Gräbern von Frauen und Kindern gefunden, was bedeutet, dass sie vermutlich nicht als religiöse Symbole, sondern als Schmuckstücke galten.
Auch die Chronik des Erzbistums Hamburg-Bremen (aus dem 11. Jahrhundert) thematisiert die Christianisierung Nordeuropas. Sie erwähnt eine Kirche im Kurland, die im 11. Jahrhundert mit Unterstützung des dänischen Königs von einem Händler erbaut wurde. Leider ist über diesen Fall sonst nichts weiter bekannt. Zwar gibt es ein Verzeichnis der Bischöfe des Kurlands, dieses Dokument ist jedoch unzuverlässig und enthält einige eindeutig falsche Angaben. Das Verzeichnis wurde vermutlich angefertigt, um die Rolle Dänemarks in der Region hervorzuheben. Der erste historische Bischof des Kurlands hieß Engelbert und wurde um 1234 vom päpstlichen Legaten Wilhelm eingesetzt. Historischen Urkunden gibt es auch zu Meinhard, dem ersten Bischof von Üxküll (heute Ikšķile), der 1186 geweiht wurde. Er reiste gemeinsam mit Händlern zur Bekehrung lokaler Stämme nach Livland und wird oft als friedlicher Missionar beschrieben. Allerdings konzipierte er gegen Ende seines Lebens einen Kreuzzug, den seine Nachfolger Berthold (der von Einheimischen getötet wurde) und Albert in die Tat umsetzten. Letzterer wurde vom neu gegründeten Schwertbrüderorden unterstützt und christianisierte die einheimische Bevölkerung mit Gewalt. Die Bekehrung der Gebiete, die heute Lettland bilden, zum Christentum ist Teil des langwierigen Prozesses der Christianisierung Europas, in dem sich wirtschaftliche, militärische und religiöse Interessen vermischten. Es lässt sich nur schwer sagen, wann er abgeschlossen (d. h. wann der christliche Glaube im Alltag der Bevölkerung fest verankert) war. Vermutlich erst während der Entwicklung der Herrnhuter Brüdergemeine im 18. Jahrhundert und mit der durch die Aufklärung beförderte Ausbreitung der Lesekultur.
Grundsätzlich muss die Christianisierung als Teil eines umfassenderen Europäisierungsprojekts betrachtet werden, in dessen Rahmen das Christentum als Komplex religiöser, wirtschaftlicher, sozialer und politischer Systeme und Machtverhältnisse von Westeuropa aus in andere Teile Europa vorgedrungen ist. Im 20. Jahrhundert wurden die lettischen Neuheiden (Dievturi, „Gottvertrauen“) zu Gegnern der Christianisierung. Für sie bestand die lettische Geschichte aus einer 800 Jahre dauernden Kolonisierung Lettlands durch die Deutschen (die formal mit dem Exodus der Deutsch-Balten aufgrund einer Vereinbarung zwischen Nazideutschland und Lettland im Jahr 1939 endete). Die lettische Dievturi-Bewegung entstand in den 1920er Jahren in lettischen Intellektuellenkreisen und ist eng mit dem Nationalismus und der Suche nach Alternativen zum deutsch geprägten lutherischen Protestantismus verbunden. Für manche war das Ziel die Entwicklung eines lettischen Christentums, für andere die Konstruktion einer neuen, indigenen Religion.
Im Folgenden sollen hierzu zwei Quellen zitiert werden. Die erste ist eine kirchengeschichtliche Abhandlung des protestantischen Pastors und Kirchenhistorikers Robert Feldmans, der die Auffassung vertrat, der christliche Glaube sei zuerst in seiner westlichen Ausprägung nach Lettland gelangt. Dementsprechend stellt er den orthodoxen Glauben als etwas den Letten Fremdes dar. Deshalb verwendet Feldmanis für den orthodoxen Glauben an manchen Stellen nicht die übliche lettische Übersetzung pareizticība, sondern eine Transliteration des russischen Begriffs (pravoslāvība), um sein Argument rhetorisch zu untermauern. Auch widerspricht er der Annahme, die Deutschen seien friedlich gekommen, und verweist auf mögliche Missionierungsversuche aus Skandinavien im 11. Jahrhundert.
- Wenn ich auf die Anfänge der Christianisierung Lettlands zurückblicke, möchte ich einen sehr wichtigen Aspekt betonen – die häufig vertretene Auffassung, der christliche Glaube habe uns aus dem Osten, aus der Orthodoxie, aus Polozk erreicht und sei im Vergleich zum Westen, der mit „Feuer und Schwert“ kam, relativ gewaltlos gewesen. […] Wir wissen, dass die russische Aggression gegen Lettland immer extrem grausam, gewalttätig und blutig war – so auch in den Jahren 1180 und 1182 als unsere Länder bereits mit dem Westen in Kontakt gekommen waren. Russen aus Pskow und Nowgorod drangen in ein Gebiet im südlichen Estland und nördlichen Lettland um Valka und Alūksne ein, das nördlich von Lettgallen lag und Tālava hieß. Sie zerstörten es gnadenlos und in mehreren Angriffswellen. Wie die Chroniken zeigen, waren die Überfälle auf Estland systematisch – im Abstand von einigen Jahren immer wieder die gleichen Verwüstungen und Drohungen. Und was tat Polozk? Es läutete die Kirchenglocken in Jersika und alles war friedlich und schön? Chroniken aus Polozk haben eine Botschaft festgehalten, ohne die sich die „friedliche“ Verbreitung der Orthodoxie in unserem Land nicht verstehen lässt. Im Jahr 1107 marschierte eine gewaltige Armee von Polozk aus in Semgallen ein.
- - Roberts Feldmanis. Latvijas baznīcas vesture. Rīga, Luterisma mantojuma fonds, 2010. S. 23.
Das zweite Fragment stammt aus einem Werk der Zwischenkriegszeit, in dem der orthodoxe Autor Antonijs Pommers eine ganz andere Sicht vertritt.
- Es sind keine historischen Dokumente überliefert, aus denen wir das Jahr oder sogar das Jahrhundert erfahren könnten, in dem das Wort Christi zum ersten Mal in dem Land verkündet wurde, das wir heute Lettland nennen. Wir können nur mit Sicherheit sagen, dass hier im 12. Jahrhundert schon Christen lebten. [...] Im Jahr 998 übernahm der Großfürst Wladimir I. das Christentum aus Byzanz und befahl dies auch seinen Untertanen. Im 12. Jahrhundert besaß Russland herausragende kulturellen Zentren. Lettland am nächsten lagen Polozk, Pskow und Nowgorod. Der Sitz des Metropoliten der ganzen Rus war Kiew, aber alle großen städtischen Zentren hatten ihren eigenen Bischofssitz Die ersten Metropoliten waren Söhne des kulturell hochstehenden Byzanz. […] Als die Fürsten von Polosk und Pskow begannen, die lettischen Ländereien zu erobern, bauten sie Burgen, um ihre Stellung zu stärken. […] Keiner dieser Fürsten hat je versucht, der örtlichen Bevölkerung seinen Glauben aufzuzwingen. Wie überall praktizierten sie die für den orthodoxen Glauben charakteristische religiöse Toleranz. Von der lokalen Bevölkerung forderten sie nur das, was in gegenseitigem Einvernehmen vereinbart worden war. Das Gewissen der Untertanen blieb frei. Aber wenn „Fremde“ von sich aus der orthodoxen Kirche beitreten wollten, wurden sie nicht abgewiesen. Wir finden Berichte über solche Fälle in der Chronik des Heinrich von Livland, in den von dem Historiker W. Gutzeit gesammelten Quellen, in einem Schreiben von Papst Honorius III. und anderen Dokumenten. Gutzeit schreibt: „Es ist definitiv bekannt, dass Prediger des griechischen Glaubens die ersten waren, die den christlichen Glauben nach Vielem (Livland) brachten.“ Papst Honorius III. befahl katholischen Geistlichen in einem Schreiben vom 8. Februar 1222, der Ausbreitung des orthodoxen Glaubens aktiver entgegenzutreten und Orthodoxe zum Übertritt zum katholischen Glauben zu zwingen. Die orthodoxe Kirche und ihre Mission in Vidzeme (Livland) scheint recht wirkungsvoll gewesen zu sein, wenn entsprechende Berichte sogar den Papst erreichten und diesen dazu brachten, seine Leute in ihrem Kampf gegen den orthodoxen Glauben zu ermutigen.
- - Antonijs Pommers. Pareizticība Latvijā: vēsturisks apcerējums. Riga, 2015. S. 3–1. (Nachdruck der Ausgabe von 1931)
Fragen zur Reflexion (1)
- Worin unterscheiden sich die in den Quellen vertretenen Ansichten? Welche Motive sind für die unterschiedlichen Sichtweisen denkbar?
- Wenn du die Quellen mit dem Einführungstext vergleichst: Welche anderen Standpunkte/Argumente kannst du erkennen?
Der Fall Litauen – die letzten Heiden Europas
Der Vorstoß des Christentums in die Gebiete der baltischen Stämme begann im 10. Jahrhundert. Später wurden dann der Deutsche Orden und der Schwertbrüderorden zur Missionierung der baltischen Länder gegründet, die zur Verbreitung des christlichen Glaubens ständige Feldzüge gegen Litauen führten. Im Jahr 1236 wurden sie bei der Schlacht von Schaulen, einer der größten Schlachten dieser Zeit, von den Litauern geschlagen, die dadurch für einige Zeit weitere Kreuzzüge in litauischen Gebieten verhindern konnten. Um zu überleben, wurden die beiden Orden zu einem vereinigt. Die Kreuzzügler besiegten die Prußen schließlich mit Hilfe europäischer Ritter und wandten sich dann wieder der Eroberung Litauens zu.
Um Litauen vor dem Feind – dem Deutschen Order – zu schützen, ließ sich der litauische König Mindaugas mit seiner Familie und seinem Hofstaat im Jahr 1251 taufen. Der Tod von Mindaugas I. im Jahr 1263 schwächte die Stellung des Christentums in Litauen jedoch erneut. Ab Mitte des 13. Jahrhundert standen die litauischen Großfürsten unter dem Druck, den christlichen Glauben anzunehmen und der Übertritt zum Christentum schien aus (geo)politischen, kulturellen, dynastischen und wirtschaftlichen Gründen unvermeidbar. Dabei standen dem Großfürstentum Litauen zwei Wege offen: der westliche (katholische) Zweig oder der östliche (orthodoxe) Zweig der christlichen Kirche. Schließlich teilten sich zwei Brüder, die Fürsten Kęstutis und Algirdas, die Herrschaft des Landes. Kęstutis konzentrierte seine Macht in den westlichen Gebieten des Großfürstentums, Algirdas in den östlichen. Beide Brüder suchten nach einem Konsens mit den christlichen Ländern. Kęstutis eröffnete Verhandlungen mit Papst Clement VI und Algirdas sorgte in Litauen und den ruthenischen Fürstentümern für ein Gleichgewicht, indem er der Bevölkerung sowohl heidnische Riten als auch den orthodoxen Glauben erlaubte. Die Stellung des Großfürstentums wurde zwar durch die neu eroberten Gebiete im Osten gestärkt, letztlich war eine Entscheidung aber unvermeidlich.
Die „Taufe“ Litauens erfolgte, als der Großfürst von Litauen und polnische König Jogaila (polnisch: Jagiełło) in Polen an die Macht kam und sich selbst und die Litauer taufen ließ. Nachdem er selbst und seine Brüder 1386 getauft worden waren, zog Jogaila mit einer Gruppe polnischer Adliger und Priester im darauffolgenden Jahr nach Vilnius, um Litauen zu christianisieren. Am 17. Februar 1387 gründete Jogaila das Bistum Vilnius und sieben neue Pfarreien in Krėva, Maišiagala, Nemenčinė, Medininkai, Ukmergė, Oboltsy und Haina. Laut Robert Frost „war die Bekehrung trotz anfänglicher Schwierigkeiten erfolgreich, obwohl sich volkstümliche heidnische Überzeugungen nur schwer ausrotten ließen. Zumindest in Oberlitauen (Aukstaitija) verfügte Jagiełło über genug Macht, um den Widerstand des Adels, der 120 Jahre zuvor zur Ermordung von Mindaugas geführt hatte, einzudämmen; anders in Niederlitauen (Samogitien), wo das Heidentum stark verwurzelt war: Im Jahr 1382 kündigten die Samogiten Widerstand an, falls Jagiełło sie zur Taufe zwingen würde.“ Bis 1413 blieben die Samogiten als einzige Bevölkerungsgruppe heidnisch. Weil Vytautas, der Großfürst von Litauen, und Jogaila die Christianisierung der Samogiten vorantreiben wollten, reisten sie selbst nach Niederlitauen, wo sie an Massentaufen teilnahmen und über die Glaubenswahrheiten sprachen.
Parallel zur Zerstörung von Heiligtümern und Kultstädten des alten Glaubens wurden im religiösen, politischen und sozialen System katholische Strukturen eingeführt. Auch in späteren Jahren war Vytautas bestrebt, das Christentums in Litauen zu stärken.
Unter Führung des Ältesten Jurgis Gaminas trugen 60 samogitische Adlige im Jahr 1416 auf dem Konzil von Konstanz eine Beschwerde gegen die Aktivitäten des Deutschen Ordens vor.
- Dem strahlendsten Fürsten und König der Könige, den Vätern und gläubigen Herren, seid gegrüßt in Christus!
- [...] Es kamen Leute in unser Land, um über unsere Ländereien zu herrschen, und wir hofften, dass sie unser Heimatland aus dem Maul des Drachen und vom Fürsten der Finsternis retten und ihm durch die Taufe die Augen für die Gnade Christi öffnen würden. In ihrer Seele wollten sie aber nicht den katholischen Glauben verbreiten und nicht den Himmel füllen, sondern ihre eigenen Warenlager. Unter ihrer falschen, widernatürlichen und tollwütigen Herrschaft waren wir wie verirrte Schafe, weil es niemand gab, der uns retten und zum katholischen Glauben bringen konnte, weil vielleicht die Zeit noch nicht gekommen war.[...]
- Um die lange Dauer unserer Taufe und Bekehrung zum wahren Glauben, die Euch bekannt ist, zu erklären, wollen wir Euch in diesem Schreiben wahrhaftig und echt unseren bescheidenen und frommen Willen zur Annahme des katholischen Glaubens darlegen und um eine andächtige und gütige Zuhörerschaft bitten.[...]
- Wir stammen von freien Eltern und sind seit Beginn unseres Lebens wahrhaft frei und besitzen unsere Reichtümer und Ländereien rechtmäßig und in voller Freiheit unseres Erbes. Wir waren nicht durch Sklaverei gebunden. Aber obwohl der Deutsche Orden von Preußen von unseren freien Eltern und unserem Leben in voller Freiheit weiß, unternimmt er große Anstrengungen, um uns unsere Freiheit und unser friedliches Leben zu nehmen und richtet uns auf besonders feindselige und grausame Weise zugrunde und ignoriert unsere althergebrachte Frömmigkeit und unseren heißen Wunsch, den katholischen Glauben anzunehmen. Sie versuchen nicht, unsere Seelen für den wahren Gott zu gewinnen, sondern wollen unser Erbe und unsere Länder besetzen und erobern, wie sie es schon in anderen Fällen getan haben. Wir haben gehofft, dass diese Brüder von Gott geschickt wurden, aber unser unwissender und unerfahrener Verstand, der an Christus glaubt, hat gesehen, dass ihnen nur weltliche Dinge wichtig sind. Sie denken nicht an himmlische Dinge oder wie sie uns den Weg zur Erlösung zeigen und uns die Glaubenslehre beibringen können. Diese Brüder kümmern sich nicht um uns wie Gott es will, sondern wie sie selbst es wollen, und versuchen, unsere Länder zu erobern. Ihnen ist nicht Bescheidenheit, guter Willen und die Gerechtigkeit Gottes wichtig, sondern Gier und Unrecht und besonders das Böse, der Vater aller Verstöße gegen das Recht, der Lehrer für viele Arten von Unheil, der Bote des Bösen, die Quelle allen Streits und der Kern aller Verbrechen. Wenn wir die Fülle der Gerechtigkeit suchten und es uns an katholischem Glauben mangelte, hatten sie kein menschliches Mitgefühl und ihr schändliches Leben beeinflusste manche von uns. Ihre Fehler waren so offensichtlich, dass viele abgestoßen von ihrem Verhalten lieber in ihrem falschen [heidnischen] Glauben starben, als ihren entstellten katholischen Glauben anzunehmen. […]
- - ŽEMAIČIŲ KRIKŠTAS tyrimai ir refleksija. Herausgegeben von Darius Baronas. Vilnius. 2013. S. 21-31.
Die Stellungnahme der katholischen Kirche zur Bekehrung der Litauer zum Christentum auf der Grundlage des apostolischen Schreibens, Sescentesima Anniversaria von Papst Johannes Paul II. zur Sechshundertjahrfeier der „Taufe“ Litauens.
- An den verehrten Mitbruder Liudas Povilonis, Apostolischer Administrator von Kaunas und Vilkaviškis und Präsident der Litauischen Bischofskonferenz, und an alle anderen Bischöfe Litauens.
- [...] 2. Die Bekehrung der litauischen Stämme zum Christentum geschah einige Jahrhunderte nachjener der benachbarten Völker des alten Europas. Eingekeilt zwischen den Osten, von wo die slawischen Völker herandrängten, und den Westen, von wo die mächtigen Deutschordensritter kamen, hatten Eure Vorfahren bereits zu Beginn des 13. Jahrhunderts die Strukturen eines selbständigen Staates gefestigt und waren hartnäckig darum bemüht, ihre Unabhängigkeit und Freiheit zu verteidigen. Diese besonderen politischen und geographischen Umstände erklären, warum sich die Litauer so lange gesträubt haben, das Kreuz aus den Händen derer anzunehmen, die ihnen mit dem Schwert in der Hand nahten und sie zu unterwerfen drohten.
- Um sich gerade diesen Pressionen von außen zu entziehen, entschloß sich der Großherzog Mindaugas, den katholischen Glauben anzunehmen und sich unter den besonderen Schutz dieses Heiligen Stuhles zu stellen, wobei er von Papst Innozenz IV. die Königskrone erhielt. Der Papst errichtete gleichzeitig die erste litauische Diözese und verfügte, daß diese einzig dem Heiligen Stuhl unterstellt sei. Aber die Bekehrung des Mindaugas, die nicht angemessen vorbereitet war, traf auf Widerstände im Volk, das dem Beispiel des Großherzogs nicht folgte. Noch vor dem Jahr 1260 mußte sich der Bischof zurückziehen, und 1263 setzte der tragische Tod des Mindaugas jenem kurzen Frühling ein Ende.
- 3. Man mußte noch über ein Jahrhundert warten, bis der leuchtende Tag der „Taufe“ erstrahlte. Er war Werk und Verdienst eines herausragenden Sohnes Litauens, des Großherzogs Jogaila, der im Jahre 1386 zustimmte, zusammen mit seinen Untergebenen im katholischen Glauben getauft zu werden, wobei er die Krone Polens erhielt und die Königin Hedwig heiratete, die strahlende Figur einer christlichen Frau, die noch heute in Krakau als Selige verehrt wird. Im Verlauf der vier folgenden Jahrhunderte ist die Geschichte Litauens von einer einzigartigen Gemeinsamkeit der politischen wie religiösen Geschicke mit Polen geprägt. Im Jahre 1387 kehrte der König, der den Namen Ladislaus II. angenommen hatte, nach Vilnius, der Hauptstadt des Großherzogtums, zurück und leitete die Bekehrung des Volkes ein, das in großer Zahl die Taufe empfing, und das auch wegen der persönlichen Frömmigkeit des Herrschers. In jenem Jahr wurde die Diözese von Vilnius gegründet und zu ihrem ersten Bischof der Franziskaner Andreas ernannt, der bereits Missionar unter Euren Stämmen gewesen war.
- Im Jahre 1413 widmete sich Jogaila zusammen mit seinem Vetter, dem Großherzog Vytautas, der Evangelisation der litauischen Bevölkerung von Samogitia. Einige Jahre später bestimmte das Konzil von Konstanz für jene Gegend eigene Legaten, um die Diözese von Medininkai zu errichten, deren ersten Bischof Matthias zu weihen und die Bekehrung der Bevölkerung zu vertiefen. König Jogaila, ein Mann von reinem und edlem Herzen, führte ein durch christliche Tugenden beispielhaftes Leben, indem er Werke der Frömmigkeit und Barmherzigkeit tat und sich mit lebendigem Eifer um das Geschick der Kirche kümmerte. Er erließ weise Anordnungen, um die freie Ausbreitung und Einwurzelung des christlichen Glaubens in allen Gegenden des Großherzogtums zu fördern. [...]
- - Gegeben zu Rom, bei St. Peter, am 5. Juni 1987. IOANNES PAULUS PP. II Verfügbar unter: http://w2.vatican.va/content/john-paul-ii/de/apost_letters/1987/documents/hf_jp-ii_apl_05061987_sescentesima-anniversaria.html
Fragen zur Reflexion (2)
- Welche Gründe werden in diesen Quellen und den Texten dafür genannt, dass Litauen das Christentum angenommen oder eben nicht angenommen hat?
- Vergleiche dies mit dem lettischen Fall – welche Unterschiede und Übereinstimmungen gibt es?
Alternativen zum christlichen Litauen
Die Romuva-Bewegung pflegt die alte heidnische Religion der Balten und hat aktive Mitglieder in Litauen, Kanada und den USA. In Litauen gibt es auch zahlreiche andere Gemeinschaften, die sich an dem Erbe des vorchristlichen Litauen orientieren, Romuva ist aber eine der größten neuheidnischen Bewegungen in Litauen.
- Sie beruft sich auf die religiösen Traditionen des Baltikums, also das religiöse Erbe der Litauer, Letten und Prußen. [...] die Gemeinschaft der Romuva wurde 1967 gegründet, ist jedoch erst seit 1992 offiziell als baltische Glaubensgemeinschaft anerkannt. Romuva-Gemeinschaften sind in den USA und Kanada aktiv. Nach zehn Jahren der Zusammenarbeit schlossen sich die drei Gemeinschaften des alten baltischen Glaubens in Vilnius, Kaunas und Molėtai Ende 2001 offiziell zur Alt-baltischen Religionsgemeinschaft zusammen.
- Alle führenden Krivis und Vaidilas, die sich nachweislich für die spirituelle Einheit der Balten auf religiöser Basis und die Pflege des alten baltischen Glauben eingesetzt haben, werden als spirituelle Führer der Alt-baltischen Religionsgemeinschaft anerkannt. [...]
- In der Vorkriegszeit wurde die Anerkennung der Romuva als Institution in der Republik Litauen durch die katholische Kirche verhindert, die damals im politischen Leben und in der Regierung sehr einflussreich war. In der Sowjetzeit mussten die Romuva ihre religiöse Seite verstecken, wurde aber dennoch aktiv unterdrückt. Erst im unabhängigen Litauen war die offizielle Anerkennung der Romuva-Gemeinden als religiöse Gemeinschaften möglich. Allerdings ist die Union der Romuva-Gemeinschaften, d. h. die am 11. November 2001 gegründete Alt-baltische Religionsgemeinschaft, auch heute noch nicht voll anerkannt.
- Die spirituellen Bedürfnisse der Angehörigen unseres Glaubens werden weder in den Oberschulen des Landes noch in der litauischen Armee berücksichtigt. Die alt-baltische Religion ist eine lebendige Vereinigung von Erfahrungen und Wissen, die die spirituellen Bedürfnisse der Gemeinschaftsmitglieder erfüllt.
- - Übersetzung des Abschnitts „Über uns“ auf der Website der Romuva-Gemeinschaft: https://romuva.lt/apie/romuva/?lang=en
Fragen zur Reflexion (3)
- Wir verlief die Christianisierung in Deinem Land? Werden der Zeitpunkt oder die (politischen, religiösen, wirtschaftlichen) Gründe für die Christianisierung oder die Merkmale dieses Prozesses (mit Gewalt/friedlich) in der Öffentlichkeit oder in der Geschichtswissenschaft diskutiert?
- Können wir den Quellen trauen, in denen die Ankunft des Christentums in einer bestimmten Region beschrieben wird? Welche aktuellen Interessen können die Darstellung historischer Ereignisse heute beeinflussen?
- Wie wird die „Geschichte“ der Einführung neuer religiöser Bewegungen in den europäischen Ländern in jüngster Zeit in den Medien Deines Landes „geschrieben“? Welche rhetorischen Mittel werden genutzt, was wird als „traditionell“ und was als „fremd“ dargestellt?
- Gibt es in Deinem Land heidnische Bewegungen, die der Romuva-Gemeinschaft ähneln? Wann wurden Sie gegründet? Spielen sie in der Gesellschaft eine prominente Rolle? Warum?
Weiterführende Literatur
- Culture Clash or Compromise? The Europeanisation of the Baltic Sea area 1100–1400 AD. Papers of the XIth Visby Symposium held at Gotland Centre for Baltic Studies, Gotland University College, Visby, October 4th–9th, 1996. (Kulturkonfronation oder Kompromiß? Die Europäisierung des Ostseeraums 1100-1400. Beiträge zum XI. Visby Symposium im Zentrum für Baltistik, Universität Gotland, Visby, 4.-9. Oktober 1996). Hg. Nils Blomkvist. (Acta Visbyensia, 11). Visby, 1998.
- Robert Frost. The Oxford History of Poland-Lithuania Volume I: The Making of the Polish-Lithuanian Union, 1385—1569 (Die Geschichte von Polen-Litauen. Band 1: Die Gründung der polnisch-litauischen Union, 1385—1569) . Oxford, Oxford University Press, 2015.
- Žemaičių krikštas: tyrimai ir refleksija (Die Taufe von Samogitia: Forschung und Reflexion). Herausgegeben von Darius Baronas. Vilnius, 2013.