Alexandr Filyushkin
Redakteure: Jörg Hackmann und Juhan Kreem
Schweden und Russland verbindet eine lange Geschichte des Konflikts im Ostseeraum, die erst endete, als Schweden nach dem Verlust Finnlands im Jahr 1809 seine Großmachtsbestrebungen aufgab und sich damit begnügte, die verlorenen Gebiete, in den Worten von Esaias Tegnér, „in Schweden zurückzugewinnen“, d. h. nicht mehr gegen seine Nachbarn Kriege zu führen, sondern die schwedische Nation im Inneren und mit friedlichen Mitteln zu stärken. In diesem Artikel betrachten wir ein Ereignis im 13. Jahrhundert: Was geschah am 15. Juli 1240 an der Einmündung der Inger in die Newa?
Seit dem 7. und frühen 8. Jahrhundert nahmen die Spannungen zwischen dem russischen Nowgorod und dem schwedischen Königreich stetig zu, angefacht durch deren Streit um Karelien, die Newa und das Baltikum. Später kam es hier zu schwedischen Kreuzzügen und der gewaltsamen Christianisierung der karelischen Bevölkerung durch die Rus. Da es in dieser Region keine anerkannten Grenzen und kaum Festungen gab, versuchten beide Seiten, ihren Anspruch auf das Land durch Feldzüge und weiträumige Angriffe zu sichern. Auch das Ingermanland (das Gebiet um die Mündung der Newa in die Ostsee) war zwischen Nowgorod und Schweden umkämpft.
Unmittelbare Berichte über die Schlacht an der Newa finden sich nur in russischen Quellen. Schwedische Quellen enthalten nur ungenaue Angaben über den Feldzug gegen Russland von 1240 und nennen keine Einzelheiten.
Nach Aussage der russischen Chroniken verfolgten die Schweden mit ihrem Kreuzzug im Jahr 1240 das Ziel, Ladoga, die wichtigste russische Festung in der Region, und die Gebiete an beiden Seiten der Newa einzunehmen. Die Schweden wären so in der Lage, den Zugang aus dem Flusssystem der osteuropäischen Ebene über die Wolchow und den Ladogasee zur Ostsee zu kontrollieren. Möglicherweise war das eigentliche Ziel sogar die Eroberung der gesamten Republik Nowgorod.
An dem Feldzug nahmen unter anderem Schweden und Sumen, ein finnischer Stamm, teil, angeführt von Ulf Fase, der 1240 Reichsverweser (Jarl) von Schweden war. Die Armee überquerte von Stockholm aus die Ostsee, landete in Turku und zog weiter zur Mündung der Newa. Die Größe der schwedischen Truppen ist nicht genau bekannt, dürfte nach Ansicht von Historikern jedoch bei einigen hundert Mann gelegen haben. Nach Aussage der Chroniken bestand die Armee des Fürsten Alexander Jaroslawitsch Newski, die an der Schlacht an der Newa teilnahm, aus rund 1300 Soldaten.
Als russische Posten an der Mündung der Newa Schiffe der schwedischen Flotte sichteten, sandten sie sofort eine Nachricht an Fürst Alexander von Nowgorod. Er marschierte entlang der Inger dem Feind entgegen und griff am 15. Juli 1240 das Lager der Schweden an, die am Zusammenfluss von Inger und Newa Rast gemacht hatten. Die Schlacht dauerte mehrere Stunden, in denen die Schweden schwere Verluste erlitten; schließlich bestiegen sie ihre Schiffe und traten die Flucht an. Dieser uneingeschränkte Sieg der russischen Armee bedeutete das Ende des schwedischen Feldzugs. Tatsächlich unternahmen die Schweden bis 1256 keine weiteren Angriffe auf Gebiete der Republik Nowgorod. Fürst Alexander sicherte sich den Ruf eines begabten Heerführers und erhielt den Beinamen „Newski“.
Heute findet sich an der Einmündung des kleinen Fluss Inger eine ungewöhnliche Anhäufung von Denkmälern, sodass sich auf einer Fläche von 300 auf 300 Metern vier Monumente und ein Museum drängen. Sie wurden zu unterschiedlichen Zeitpunkten errichtet, sind aber alle dem selben Ereignis gewidmet, das in jedem russischen Schulgeschichtsbuch erwähnt wird. Hier liegt somit einer der wichtigsten russischen „Erinnerungsorte“. Am 15. Juli 1240 besiegte die Armee unter dem Kommando des Fürsten Alexander von Nowgorod die schwedischen Truppen. Der junge Fürst erhielt den Namen Alexander Newski und wurde zu einer symbolischen Figur in der russischen Geschichte.
Es gibt keine schwedischen Quellen, in denen die Schlacht beschrieben wird, lediglich vage Informationen über schwedische Angriffe auf Karelien und die Region um die Newa. Am Ort der Schlacht (der Mündung der Inger in die Newa) wurden wiederholt Bauwerke errichtet. Vom 18. bis zum 20. Jahrhundert gab es an der Stelle einen Hafen, Brücken und Straßen, sodass keine Spuren der Schlacht aus dem 13. Jahrhundert erhalten sind.
Im 13. Jahrhundert war dies eine Schlacht unter vielen anderen, deren Bedeutung für die russische Geschichte sich erst mit der Zeit herausbildete. Ihre Glorifizierung begann im 18. Jahrhundert, als Russland mit Schweden um die Vorherrschaft im Ostseeraum Krieg führte (der Große Nordische Krieg 1700–1721). Im 19. und 20. Jahrhundert und insbesondere während des Zweiten Weltkriegs wurde sie dann mit dem Ringen zwischen dem russischen Reich und der germanischen Welt um den Einfluss im Baltikum assoziiert. Der Ort, an dem die Schlacht an der Newa stattfand, wurde ab dem 18. bis zum 20. Jahrhundert zu einer nationalen Gedenkstätte ausgebaut.
Auf einer Inspektionsreise nach Sankt Petersburg, der neuen Hauptstadt des russischen Reiches, ordnete Zar Peter I. im Jahr 1710 den Bau eines Klosters zu Ehren des Fürsten Alexander Newski am Zusammenfluss der Flüsse Newa und Tschornaja an. Der Zar war überzeugt, dass er das Kloster am Ort der Schlacht an der Newa gründete, in der am 15. Juli 1240 eine schwedische Armee besiegt worden war. Dank dieser Schlacht im dreizehnten Jahrhundert, konnte die Expansion der Schweden ins Baltikum gestoppt werden, und Fürst Alexander erhielt den Beinamen „Newski“. Da sich Russland 1700–-1721 im Krieg mit Schweden um die Vorherrschaft im Ostseeraum befand, waren die historischen Parallelen offensichtlich. Fürst Alexander Newski wurde zum Schutzpatron der neuen Hauptstadt Sankt Petersburg.
Allerdings hatte sich der Zar geirrt und der Ort der Schlacht von 1240 lag in Wirklichkeit weiter flussabwärts, rund 15 km vom Alexander-Newski-Kloster entfernt. Heute hat das Kloster den Rang eines Lawra und liegt am Ende des Newski-Prospekts im Zentrum von Sankt Petersburg. Das tatsächliche Schlachtfeld befindet sich an der Mündung der Inger, eines Nebenflusses der Newa. 1711–1712 wurde hier auf Befehl von Peter dem Großen, der seinen Irrtum inzwischen bemerkt hatte, eine Kirche erbaut und dem heiligen Alexander Newski geweiht. Der Legende nach nahm Zar Peter im Jahr 1724 vor dieser Kirche die Gebeine des heiligen Alexander Newski in Empfang, die aus der Stadt Wladimir nach Sankt Petersburg überführt worden waren.
Die erste Gedächtniskirche aus Holz war bereits im Jahr 1726 niedergebrannt. Nachdem die 1730 wieder aufgebaute Kirche 1797 erneut durch ein Feuer zerstört worden war, wurde 1798–1799 zum Gedenken an die Schlacht an der Newa eine steinerne Kirche erbaut, die bis heute erhalten ist. Die vermutlich von den Architekten P. und V. Neyolovs entworfene Kirche wurde 1820–1823, 1835–1836 und nochmals 1871–1875 renoviert. 1934 widmeten die Kommunisten die Kirche zum Lagerhaus um. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Kirche schwer beschädigt; 1942 wurde der Glockenturm gesprengt und 1962 stürzte aufgrund dieses Schadens auch die Kuppel ein.
1986 wurde vorgeschlagen, auf der Kirchenruine einen Obelisken zu errichten, der als Denkmal für die Schlacht an der Newa dienen sollte. Dann jedoch wurde ein umfangreiches Projekt zum Wiederaufbau der Gedächtniskirche angestoßen, für das sich vor allem der Verein „Newa-Schlacht“ und dessen Vorsitzender G. Trubnikov stark engagierten. Der Wiederaufbau dauerte von 1987 bis 1995 (den Großteil der Arbeiten übernahm die Firma „Lenoblrestavratsiya“) und schließlich wurde der Bau der orthodoxen Kirche übergeben.
Die Alexander-Newski-Kirche liegt am linken Ufer der Inger an deren Mündung in die Newa. Sie hat zwei Kapellen, von denen die nördliche dem heiligen Nicholas und die südliche der Enthauptung Johannes´ des Täufers gewidmet ist.
1958 errichteten Soldaten- und Veteranenvereine („Soldatengesellschaften“) am rechten Ufer der Inger, rund 200 bis 300 m vor deren Mündung eine 1,5 Meter hohe Stele aus poliertem Stein; Anlass war das 250. Jubiläum des damaligen Leningrads (1703–1953). Die Inschrift auf dem Stein lautet:
Das Monument ist in dem schlichten und steifen militärischen Stil entworfen, der für die auf dem Gebiet der UdSSR in den 1950er Jahren errichteten Soldatendenkmäler charakteristisch ist. Seine Inschrift zieht klare Parallelen zwischen der Schlacht im dreizehnten Jahrhundert und dem noch nicht lange vergangenen Großen Vaterländischen Krieg. Das Ehrenmal symbolisiert vor allem die Verteidigung gegen fremde Invasoren, d. h. gegen Angriffe von außen.
Außergewöhnlich ist vor allem sein Standort, das Schlachtfeld an der Newa vom 15. Juli 1240. Man weiß zwar, dass die Schlacht nahe der Mündung der Inger stattgefunden hat, wo die schwedischen Truppen von den Soldaten des Fürsten Alexander angegriffen wurden; die genaue Position ist aber nicht bekannt. Historiker streiten immer noch darüber, ob sich das Schlachtfeld am rechten oder linken Flussufer befindet. Das Ehrenmal steht am rechten Ufer, die Gedächtniskirche am linken.
Viele Legenden, die über einen mit Gottes Hilfe gewonnenen Sieg berichten, werden auf die Schlacht an der Newa bezogen. Fürst Alexander Newski wurde 1547 heiliggesprochen. Er ist nicht nur einer der berühmtesten russischen Militärführer, sondern auch einer der am meisten verehrten Heiligen, wobei letzteres erst in der postsowjetischen Zeit wieder in den Vordergrund gerückt ist. Im Jahr 2002 wurde auf dem Friedhof in der Nähe der Alexander-Newski-Kirche ein Denkmal mit dem Titel „Eine Gedächtniskapelle am Ort der göttlichen Hilfe am Tag der Schlacht an der Newa“ aufgestellt. Es stellt das halbfigürliche Bildnis von Alexander Newski im plastischen Rahmen einer orthodoxen Kapelle dar. Das Projekt wurde von A. V. Ostapenko finanziert, von A. A. Seleznyev initiiert und von den Bildhauern G. Kozenyuk und A. A. Palmin sowie den Architekten V. L. Chulkevich und V. E. Zhukov entworfen und ausgeführt.
Es ist vor allem ein Symbol des Christentums, nicht der militärischen Macht. Der christliche Symbolismus wird durch den Standort des Denkmals innerhalb dieses Erinnerungsorts, dem Kirchhof, noch verstärkt. Dadurch fungiert die Schlacht an der Newa als Manifestation der göttlichen Intervention, als Symbol dafür, dass Gott Russland schützt (die Inschrift in der Kuppel der Kapelle lautet: „Gott ist nicht in der Kraft, sondern in der Wahrheit“).
2003 wurde auf der linken Landzunge der Mündung der Inger gegenüber der Alexander-Newski-Kirche ein Denkmal des Bildhauers V. E. Gorevoy und des Architekten V. A. Popov errichtet, das den Fürsten darstellt, eine stehende Bronzestatue auf einem hohen Sockel (das Monument ist insgesamt 10 Meter hoch und 6 Tonnen schwer). Fürst Alexander Newski ist als Krieger mit Harnisch dargestellt, der die Waffen und Rüstungen seiner besiegten Feinde mit Füßen tritt. Die Rüstungen weisen westeuropäische Elemente auf, z. B. Topfhelme, die weniger die Schweden als vielmehr die Deutschordensritter symbolisieren, die in vielen Filmen mit solchen Helmen dargestellt werden. Damit wird das Bild von Alexander Newski als dem Herrscher betont, der sich dem Angriff des Westens auf die Rus entgegengestellt hat.
2009 wurde auf der Landzunge zwischen Inger und Newa ein Museum eingeweiht, in dem das Diorama „Die Schlacht an der Newa“ ausgestellt wird. Neben diesem Schlachtengemälde des Künstlers I. S. Zhebrovsky, werden auch moderne Nachbildungen von Rüstungen präsentiert. Inhalt und Geist des Museums visualisieren das „Leben des Fürsten Alexander Newski“ in der kanonisierten Version und reproduzieren die legendären Ereignisse des Jahres 1240. Das Museum kombiniert alle drei bereits beschriebenen Aspekte: die Schlacht an der Newa als Symbol für die Abwehr aggressiver Invasoren, der religiöse Aspekt und Alexander Newski als der Kriegsherr, der den Westen besiegt hat. Dabei ist zu erwähnen, dass das Museum auf einer Initiative der Öffentlichkeit zurückgeht, genauer gesagt auf die der Einwohner von Ust-Izhora, Enthusiasten und Patrioten ihres „kleinen Mutterlandes“, und daher äußerst beliebt ist.
Für seine Zeitgenossen war die Schlacht an der Newa im Jahr 1240 vor allem ein biografischer Höhepunkt des Fürsten Alexander Newski, seine bekannteste militärische Leistung. Kein Wunder also, dass deren ausführlichste Beschreibung in der um 1280 entstandenen Biografie des Fürsten zu finden ist. Es wurde angenommen, dass die Schlacht im dreizehnten Jahrhundert die schwedische Expansion ins Mündungsgebiet der Newa und das Ingermanland beendet hat. In der schwedischen Geschichte spielt die Schlacht an der Newa eine wesentlich unbedeutendere Rolle und in westlichen Chroniken wird sie überhaupt nicht erwähnt. Auch die schwedische Geschichtswissenschaft des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts hat sich nicht für dieses Ereignis interessiert.
Der Ruf des Fürsten als Verteidiger der Orthodoxie und des gesamten russischen Reichs entwickelte sich erst nach und nach. Der Kriegsfürst wurde im Jahr 1547 heiliggesprochen. Ab der Zeit des Zaren Peter I. (1682–1721) galt Alexander Newski vor allem als historischer Vorgänger von Peter dem Großen in seinem Kampf um die Vormacht im Ostseeraum. In diesem Kontext wurde der Wunsch nach einer historischen Darstellung der Schlacht an der Newa von Jahr zu Jahr stärker und die Erzählungen über die Schlacht wurden mit symbolischen Bedeutungsebenen aufgeladen: Widerstand gegen die westliche Aggression, Schutz des orthodoxen Glaubens vor einer katholischen Expansion, Verteidigung der Newa und der Ostseeküste und Sieg Russlands in der kulturellen und zivilisatorischen Konfrontation mit Europa.
Die Monumente, die sich im Dorf Ust-Izhora in der Nähe des historischen Schlachtfelds konzentrieren, spiegeln all diese symbolischen Aspekte wider, die für die russische Geschichte so wichtig sind. Es ist bemerkenswert, dass diese Aspekte sich überlagern und kein einziger davon aufgegeben wurde. Das Bild der Schlacht an der Newa wurde inzwischen mit Hilfe moderner Technologien weiter verfestigt. So werden in dem Film Alexander. Die Schlacht an der Newa des Regisseurs Igor Kalenov, der 2008 in die russischen Kinos kam, Staatsideologie, wissenschaftliche Geschichtsschreibung und die volkstümliche Nacherzählung der Ereignisse widerspruchsfrei verflochten.