2.19 Mai 1945: Befreiung oder Besetzung?

Małgorzata Dąbrowska und Anne Sørensen
Redaktion Christian Pletzing

Fast alle Länder der Ostseeregion waren am 2. Weltkrieg beteiligt. Europa war der Hauptschauplatz des Kriegs und viele Länder der Region waren Kampfgebiet. Die ersten betroffenen Länder im Ostseeraum waren Polen und Deutschland, doch mit der Zeit wurden alle Länder bis auf das neutrale Schweden in den Krieg hineingezogen. 1944 verlor das Dritte Reich eine Schlacht nach der anderen gegen die Alliierten, alle Zeichen deuteten auf eine deutsche Niederlage. Am 30. April 1945 nahm Hitler sich während der Schlacht um Berlin das Leben. Am 7. Mai wurde in Reims die bedingungslose Kapitulation unterschrieben und am nächsten Tag ergaben sich in Berlin die deutschen Truppen. Der 8. Mai wurde zum VE-Day (Victory in Europe Day, Sieg-in-Europa-Tag) erklärt. Die Sowjetunion und die Länder unter ihrer Herrschaft richteten sich jedoch nach Moskauer Zeit und erklärten den 9. Mai zum Siegestag. Doch die Unterschiede zwischen den Alliierten des 2. Weltkriegs waren schon vor der Entscheidung über das Datum der deutschen Kapitulation offensichtlich geworden.

Westeuropa wurde von den Nazis besetzt, während Osteuropa mit zwei Besetzungen fertig werden musste – durch die Nazis und die Sowjets. Gemäß der berühmten Rede von Winston Churchill im März 1946 war Europa nach dem 2. Weltkrieg durch einen Eisernen Vorhang in zwei Teile geteilt worden. Auch wenn der Mai 1945 in Westeuropa als Befreiung erscheint, ist dies für die Länder, die von der Sowjetunion bezwungen wurden, nicht die einzige mögliche Interpretation. Die Feierlichkeiten der einzelnen Länder wurden davon bestimmt, auf welcher Seite des Eisernen Vorhangs sie lagen. In den Ländern, die von der UdSSR abhängig waren, wurde am 9. Mai gefeiert, während die anderen Länder meistens den 8. Mai begingen. Die Feierlichkeiten zum Tag des Sieges repräsentierten in einigen Ländern eine Form der Unterdrückung.

Fünf Länder der Ostseeregion gerieten im Ostblock unter sowjetische Vorherrschaft. Estland, Lettland und Litauen wurden 1940 gemäß Hitler-Stalin-Pakt von der Sowjetunion besetzt, bis sie 1941 von den Deutschen angegriffen wurden. Nach dem Sieg über die Nazi-Besatzung blieben die drei Länder Teil der Sowjetunion (im sowjetischen Narrativ schlossen sich die baltischen Staaten allerdings freiwillig der Sowjetunion an). Polen und die Deutsche Demokratische Republik (DDR) gerieten als Satellitenstaaten unter sowjetischen Schutz. Schweden und Finnland blieben nicht unter sowjetischer Herrschaft und erklärten sich innerhalb der neuen Aufteilung Europas offiziell für neutral, während die Bundesrepublik Deutschland (BRD), Norwegen und Dänemark sich der westlichen Welt anschlossen und der NATO beitraten. Mit Ausnahme der skandinavischen Länder war die Befreiung 1945 umstritten.

Der Eiserne Vorhang

Die Länder der Siegerkoalition waren keine geschlossene Einheit. Nach dem Sieg über Deutschland entstanden Konflikte über die neue Aufteilung Europas und es wurde schon bald unmöglich, diese Konflikte zu überwinden. Zwischen den West-Alliierten und der Sowjetunion entspannen sich Machtspiele und diplomatische Gefechte, um die zerbrechliche Allianz zu erhalten. Winston Churchill sprach als erster von einem ‚eisernen Vorhang‘, um die Nachkriegssituation in Europa zu beschreiben. Seine Rede am Westminster College in Fulton am 5. März 1946 war der symbolische Anfang des Kalten Kriegs und der Teilung Europas in zwei verfeindete Seiten.

Von Stettin an der Ostsee bis hinunter nach Triest an der Adria ist ein „Eiserner Vorhang“ über den Kontinent gezogen. Hinter jener Linie liegen alle Hauptstädte der alten Staaten Zentral- und Osteuropas: Warschau, Berlin, Prag, Wien, Budapest, Belgrad, Bukarest und Sofia. Alle jene berühmten Städte liegen in der Sowjetsphäre und alle sind sie in dieser oder jener Form nicht nur dem sowjetrussischen Einfluß ausgesetzt, sondern auch in ständig zunehmendem Maße der Moskauer Kontrolle unterworfen. Nur Athen mit seinem unsterblichen Ruhm ist frei und kann seine Zukunft nach Wahlen, die unter britischer, amerikanischer und französischer Überwachung durchgeführt werden, selbst bestimmen. Die von Rußland beherrschte polnische Regierung ist ermutigt worden, sich in unrechtmäßiger Weise und in gewaltigem Ausmaße in deutsche Angelegenheiten einzumischen und Massenausweisungen von Millionen von Deutschen anzuordnen, wie man sie bisher noch nicht kannte. Die kommunistischen Parteien, die in allen diesen östlichen Staaten Europas bisher sehr klein waren, sind überall großgezogen worden, sie sind zu unverhältnismäßig hoher Macht gelangt und suchen jetzt überall die totalitäre Kontrolle an sich zu reißen. Fast in jedem Fall herrscht eine Polizeiregierung, und bisher ist mit Ausnahme der Tschechoslowakei noch nirgends die Demokratie eingeführt worden. […] Welches auch die Schlußfolgerungen sind, die aus diesen Tatsachen gezogen werden können, eines steht fest, das ist sicher nicht das befreite Europa, für dessen Aufbau wir gekämpft haben. Es ist kein Europa, das die unerläßlichen Elemente eines dauernden Friedens enthält.
- http://www.chronik-der-mauer.de/180128/rede-von-winston-churchill-in-fulton-usa-5-maerz-1946Polen

Polen

Nach 1945 gehörte Polen zur Einflusssphäre der Sowjetunion und feierte, wie auch der Rest des Ostblocks, den Tag des Sieges am 9. Mai. Überall im Land fanden offizielle Feierlichkeiten mit Militärparaden und Reden statt. Bis 1950 war dies auch ein gesetzlicher Feiertag. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989/1990 wurden die offiziellen Feiern an diesem Tag eingestellt, doch in einigen Städten (hauptsächlich in der Nähe von Militärkasernen) wurde die Tradition fortgesetzt, diesen Tag zu feiern. Aus Anlass des 70. Jahrestags des Kriegsendes verabschiedete das Unterhaus des polnischen Parlaments auf Vorschlag von Łukasz Kamiński, dem Vorsitzenden des Instituts für Nationales Gedenken, am 24. April 2015 ein Gesetz, nach dem der Nationale Gedenktag des Sieges am 8. Mai zu feiern ist, und schaffte gleichzeitig den Nationalfeiertag des Sieges und der Freiheit, der am 9. Mai gefeiert wurde, ab.

Nationalfeiertag des Sieges und der Freiheit nach Erlass vom 8. Mai 1945:

Art. 1. Zur Erinnerung an die Zeiten des Sieges der polnischen Nation und seiner großen Alliierten über die deutschen Besatzer, der Demokratie über den Nazismus und den Faschismus, der Freiheit und Gerechtigkeit über Sklaverei und Vergewaltigung wird der 9. Mai als Tag des Endes der Kampfhandlungen zum nationalen Fest des Sieges und der Freiheit.

Nationaler Gedenktag des Sieges, seit dem 24. April 2015 am 8. Mai gefeiert

Art. 1. Um an den Sieg über Nazi-Deutschland zu erinnern, wird der 8. Mai zum Nationalen Gedenktages des Sieges erklärt.
Art. 2. Der Nationale Gedenktag des Sieges ist ein gesetzlicher Feiertag.
Art. 3. Art. 3. Der Nationalfeiertag des Sieges und der Freiheit am 9. Mai wird abgeschafft.

Begründung für die Namensänderung von Straßen, die an den 9. Mai erinnern, auf der Website des Instituts für Nationales Gedenken:

Der 9. Mai wurde in der Sowjetunion und in den von ihr beherrschten Ländern als Tag des Sieges gefeiert. Die Feiern an diesem Tag (auch im heutigen Russland) stehen prinzipiell in Verbindung mit der Unterstützung des stalinistischen historischen Narrativs, das auf Propagandafälschungen basiert, nach denen die Rote Armee allen europäischen Nationen Freiheit und Unabhängigkeit gebracht hat. In Polen, von den Kommunisten unter Stalins Herrschaft gestellt, wurde der 9. Mai zum Nationalfeiertag des Sieges und der Freiheit erklärt. Es widerspricht dem Respekt für die Opfer des Kommunismus und für die Tradition des polnischen Kampfes für Freiheit und Unabhängigkeit im 20. Jahrhundert, solche Interpretationen aus der totalitären Phase der Versklavung aufrechtzuerhalten. Seit Polen seine Unabhängigkeit zurück erhalten hat, wird dieser Tag nicht mehr gefeiert. Stattdessen hat sich das Land der Erinnerung an den Tag der deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945 angeschlossen – als Gelegenheit, an Polens Beitrag zur Niederlage des Deutschen Reichs im 2. Weltkrieg zu erinnern.
- Von der Website des Institut Pamięci Narodowey (Institut für Nationales Gedenken), abrufbar unter: https://ipn.gov.pl/pl/upamietnianie/dekomunizacja/zmiany-nazw-ulic/nazwy-ulic/nazwy-do-zmiany/36808,ul-9-Maja-1945-r.html

Die baltischen Länder

Litauen, Lettland und Estland wurden 1940 auf der Grundlage eines Abkommens zwischen der UdSSR und dem Dritten Reich, einem geheimen Anhang des Protokolls zum Hitler-Stalin-Pakt, von der Sowjetunion besetzt.

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Nach dem Angriff der Deutschen auf Russland wurden die baltischen Staaten von Deutschland besetzt. Nachdem sich die UdSSR den Alliierten angeschlossen hatte, befreiten Soldaten der Roten Armee diese Länder wieder von der deutschen Besatzung. Obwohl es keine rechtliche Grundlage für ihr Bleiben gab, berief sich die sowjetische Armee auf das oben erwähnte Protokoll und besetzte das Gebiet erneut bis 1990. Die internationale Situation der baltischen Staaten blieb ungeklärt. Manche Länder haben die Eingliederung der baltischen Staaten in die UdSSR nicht anerkannt, während andere die feindliche Übernahme akzeptierten.

Stellungnahme des amtierenden stellvertretenden Außenministers der Vereinigten Staaten von Amerika, Sumner Welles, vom 23. Juli 1940.

Als die Sowjetunion die drei baltischen Staaten im Juni 1940 besetzte, hat das US-Außenministerium die Anerkennung der Annektierung als Sowjetrepubliken in einer Stellungnahme abgelehnt.
- National Archives and Records Aministration, Public Domain, zitiert nach: John Hiden, Vahur Made, David J. Smith (Hg.) The Baltic question during the Cold War (Die baltische Frage im Kalten Krieg). Routledge, 2008. S. 209.

Der „Baltische Appell“ und Lord Nicholas Bethell – A Place to Stand von Anna Ferens. https://www.youtube.com/watch?v=zFSpEFnuG3s movie: Baltic

Am 23. August 1979, dem 40. Jahrestag des Hitler-Stalin-Paktes, der die Grundlage für die sowjetische Besetzung der baltischen Staaten 1940 war, schickten 45 Bürger aus Estland, Lettland und Litauen einen öffentlichen Brief an die Vereinten Nationen, die Sowjetunion, Ost- und Westdeutschland und die Unterzeichner der Atlantik-Charta. Das Hauptziel dieses Appells war die Offenlegung des Paktes und seines geheimen Protokolls sowie die Wiederherstellung der Unabhängigkeit der baltischen Staaten. Eine Antwort ließ auf sich warten und kam schließlich aus dem Europäischen Parlament. Am 13. Januar 1983 wurde dort beschlossen, die Forderungen zu unterstützen.

Ein Artikel über die Entschuldigung des schwedischen Ministerpräsidenten Fredrik Reinfeldt an die Nachbarn Schwedens, „Schweden ‚steht in der Schuld‘ der baltischen Staaten: Reinfeldt“ vom 16. August 2011.

Schweden habe gegenüber seinen baltischen Nachbarn eine „Ehrenschuld“, weil es die Augen vor der sowjetischen Besatzung nach dem Krieg verschlossen habe, äußerte der schwedische Ministerpräsident gegenüber seinen baltischen Amtskollegen am Montag. Während einer Zeremonie in Stockholm, an der die Ministerpräsidenten von Estland, Litauen und Lettland teilnahmen, sprach Reinfeldt von einem „dunklen Moment“ in der Geschichte seines Landes. „Schweden gehörte zu den ersten Ländern, die die sowjetische Besatzung der baltischen Länder 1944 anerkannte“, sagte er bei einer Feier zum 20. Jahrestag der Unabhängigkeit der drei Länder. 1945 lieferte Schweden rund 170 Soldaten aus den baltischen Staaten an die Sowjetunion aus, die vor der Roten Armee geflohen waren und in Schweden Zuflucht gesucht hatten. „Die Ausweisung der Balten ist ein dunkler Moment in der schwedischen Außenpolitik“, sagte Reinfeldt. Er gab zu, dass Schweden seine baltischen Nachbarn lange ignoriert habe, und mahnte, dass die nach der Unabhängigkeit gewachsenen Verbindungen weiter gestärkt werden müssten. „Schweden hat das Leiden der Balten nicht erkannt“, sagte der konservative Ministerpräsident. „Ich halte ein schwedisches Schulbuch aus den 1980er Jahren in der Hand. Das Schicksal von Estland, Lettland und Litauen nach dem 2. Weltkrieg wird dort nicht erwähnt. Mit keinem einzigen Wort“, sagte Reinfeldt. „Es ist in der Tat schwierig, irgendeinen Hinweis darauf zu finden, dass es jemals baltische Staaten gegeben hat. Als ich zur Schule ging, war das die Realität“, erklärte der 46 Jahre alte Politiker. „Schweden hat gegenüber den Menschen in Estland, Lettland, und Litauen eine Ehrenschuld. Wir sind uns – und den Menschen im Baltikum – verpflichtet, an die Vergangenheit zu erinnern, aber auch an einer gemeinsamen Zukunft zu arbeiten“, ergänzte er. Valdis Dombrovskis aus Lettland, Andrius Kubilius aus Litauen und der Este Andrus Ansip dankten Schweden für die Unterstützung ihrer Länder seit der Unabhängigkeit. Die Rede Reinfeldts wurde von den Balten unter den Zuhörern unterschiedlich aufgenommen. „Für ihn ist es heute einfach, so etwas zu sagen, weil seine Partei damals nicht an der Macht war,“ meinte Lehte Slunge, die 1944 mit ihren Eltern aus Estland geflohen ist, gegenüber der AFP. Jaan Seim, der Direktor der estnischen Schule in Stockholm, erklärte, dass „die schwedische Regierung damals von Realpolitik geprägt war.“ „Es war ein kleines Land, dass neutral bleiben wollte und im Osten einen großen Nachbarn hatte, der eine große Bedrohung darstellte.“ „Ich fand es besonders enttäuschend, dass die baltischen Nationen in den 1970er und 1980er Jahren in den schwedischen Köpfen einfach nicht mehr existiert haben. Für sie gab es nur noch die Sowjetunion und sonst nichts“, erklärte Seim, ein in Schweden geborener Este. Die Feier fand am Montag auf einem Platz in Stockholm statt, auf dem 1990 und 1991 zahlreiche sogenannte Montagstreffen stattgefunden hatten, um die baltischen Forderungen nach Unabhängigkeit zu unterstützen. Die drei Staaten organisierten 1989 eine Menschenkette, an der zwei Millionen Menschen teilnahmen und die die drei baltischen Hauptstädte miteinander verband – als Protest gegen die Sowjetherrschaft. Auf diesen Aufsehen erregenden Protest folgten weitere, die die drei Nationen 1991 schließlich in die Unabhängigkeit führten.
- Von der Website von The Local, abrufbar unter: https://www.thelocal.se/20110816/35570

Russland

Nachdem der Eiserne Vorhang gefallen war und die Länder des Ostblocks ihre Unabhängigkeit zurückerhalten hatten, begannen manche dieser Länder ihre eigene Geschichte umzuschreiben. Ihre historischen Narrative befreiten sich von Russland und hoben dabei häufig die Aspekte hervor, die vorher ausgelassen wurden, also nicht im Sinne Russlands waren. Manchmal haben diese Änderungen auch zu Veränderungen in der Politik, Kultur und im Geschichtsunterricht geführt. Russische Politiker beschuldigen gelegentlich die Vereinigten Staaten und andere westliche Länder, den großen Beitrag der Sowjetunion zum Sieg der Alliierten herunterzuspielen. In seinen Reden zum 9. Mai betont Präsident Wladimir Putin besonders die Rolle der Sowjetunion.

Auszüge aus einem Artikel über die Feierlichkeiten zum Tag des Sieges in Russland – ohne Teilnahme westlicher Politiker – von Radio Free Europe Radio Liberty „Putin attackiert USA in seiner Rede zur Parade auf dem Roten Platz“, zuletzt aktualisiert: 9. Mai 2018

[...] Putin attackierte auch die, wie er behauptet, Versuche, „die Geschichte umzuschreiben und zu verfälschen“ und „die Heldentaten der Menschen“ zu verneinen, „die Europa und die Welt vor der Sklaverei, der Auslöschung und den Gräueln des Holocaust gerettet haben.“ Er ergänzte: „Wir werden immer stolz sein, dass die Sowjets nicht die Augen verschlossen oder gegenüber dem grausamen Feind nachgegeben haben, während andere Staaten die Schande der Kapitulation vorzogen.“ „Es ist ein Zeichen des Widerstands Russlands, dass die Versuche des Westens, Russland zu ignorieren, nicht wirken, dass Russland stark ist und mächtige Freunde hat“, sagte er. […] Die Entscheidung vieler westlicher Politiker, nicht teilzunehmen, wurde von den Staatsmedien in Russland als Versuch gewertet, den Beitrag Russlands zum Sieg zu schmälern und „die Größe Russlands zu untergraben,“ sagte Felgenheuer. […] Jill Dougherty, Russlandexpertin am Wilson Center und ehemalige Bürochefin von CNN in Moskau, erklärte, dass die sozialen Medien und Fernsehberichte darauf hindeuteten, dass viele einfache Russen wegen der Abwesenheit der westlichen Politiker bei der Gedenkveranstaltung gekränkt seien. Sie glaubten, dass der Sieg vor allem von den Russen und ihren Gefallenen errungen wurde und ärgerten sich, dass die anderen alliierten Staaten das nicht erkennen, sagte sie. „Da ist ein Gefühl von Kränkung und Wut“, erklärte sie. „Unglücklicherweise bestätigt das zweifellos die Stimmung, die gerade in Moskau herrscht, bei der es genau darum geht – Kränkung durch den Westen, ein Gefühl, dass der Westen wieder zum Feind geworden ist.“
Der 2. Weltkrieg sei für die Russen äußerst wichtig, erklärte sie, und löse starke Gefühle aus. Mehr als 26 Millionen Menschen der ehemaligen Sowjetunion starben während des 2. Weltkriegs, der in Russland nur „Großer Vaterländischer Krieg“ genannt wird. Nach Aussage des russischen Verteidigungsministeriums wurden die Körper von vier Millionen russischen Soldaten nie geborgen. Mit Metalldetektoren ausgestattete Freiwilligengruppen durchkämmen die Wälder der ehemaligen Ostfront nach menschlichen Überresten, insbesondere in der Umgebung von St. Petersburg, wo einige der blutigsten Kämpfe des 20. Jahrhunderts stattgefunden haben. Sieben Jahrzehnte später ist die Erde noch immer übersät mit Überbleibseln der russischen Kriegsvergangenheit, den Knochen der Gefallenen, die manchmal nur von einer dünnen Schicht Erde bedeckt sind. […] Auch die Ukraine veranstaltet am Samstag Gedenkfeiern zum Tag des Sieges, angeführt von Präsident Petro Poroshenko in Kiew. Pro-russische Separatisten in Donetsk in der Ost-Ukraine und Sevastopol auf der Krim haben geplant, eigene Militärparaden abzuhalten. Andere europäische Nationen und die Vereinigten Staaten haben den 70. Jahrestag der alliierten Streitkräfte in Europa am Freitag gefeiert. […]”
- von der Website von RadioFreeEurope, abrufbar unter: https://www.rferl.org/a/russia-marks-end-of-world-war-ii-with-military-parade-on-red-square/29216745.html

Ein offizielles Interview mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zum Tag des Sieges am 9. Mai 2015:

Nachrichtensprecher des Programms Vesti v Subbotu vom Fernsehkanal Rossiya, Sergei Brilev: Herr Präsident, haben Sie bei der Parade heute alle gesehen, die Sie zu sehen hofften?
Präsident von Russland Wladimir Putin: Meinen Sie die Gäste oder ganz allgemein jeden, der zur Parade gekommen ist?
Sergei Brilev: Beginnen wir mit den Gästen. Wir haben doch erwartet, dass zumindest die Amerikaner und Europäer kommen würden, aber am Ende kamen sie nicht. Waren Sie enttäuscht?
Wladimir Putin: Nein. Es macht mich glücklich, dass überall auf der Welt Menschen den Tag des Sieges über die Nazis feiern. Ich denke, dass es keine Rolle spielt, wo die Menschen feiern. Wenn dies ein echter Feiertag für sie ist, ist das schon eine gute Sache. An dem Empfang heute im Kreml haben Veteranen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens teilgenommen. Sie kamen zu mir und haben sehr warme und freundliche Worte gesagt. Dies waren Menschen, die an den Nordmeergeleitzügen, an der Landung in der Normandie und an den Kämpfen in Europa teilgenommen hatten. Wir haben alle gesehen, die wir zu sehen hofften.

Am wichtigsten ist, dass die Menschen verstehen, dass der Kampf gegen die Nazis sehr wichtig war, dass es ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte der Menschheit war. Und heute haben wir viele fröhliche Gesichter, die Gesichter unserer Mitbürger, gesehen. Das ist das Wichtigste. Wir betrachten den 9. Mai als unseren großen Feiertag, vielleicht als das wichtigste Datum in der Geschichte unseres Landes. Sie haben schließlich die Veranstaltung heute gesehen, die öffentliche Feier, die den Titel „Das unsterbliche Regiment“ erhalten hat. Die Menschen trugen Porträts ihre Angehörigen, ihrer Väter, Mütter, Großväter und Ur-Großväter mit sich. Die Menschen haben diese Porträts über den Roten Platz getragen. […]

- Von der offiziellen Website des Präsidenten von Russland, Abrufbar unter: http://en.kremlin.ru/events/president/transcripts/interviews/49454

Deutschland

Das besiegte Deutschland wurde nach dem 2. Weltkrieg in zwei Länder geteilt. Die Bundesrepublik Deutschland (Westdeutschland) wurde eine Demokratie und Teil des westlichen Blocks, während die Deutsche Demokratische Republik (DDR) Mitglied des Warschauer Pakts wurde und unter sowjetische Vorherrschaft geriet. Die beiden deutschen Narrative zum Mai 1945 entwickelten sich deshalb im Kalten Krieg sehr unterschiedlich – bis zum Fall der Berliner Mauer 1989 und zur Wiedervereinigung 1990. Die Erinnerungspolitik in der DDR entsprach dem Nachkriegsnarrativ der anderen kommunistischen Staaten in Europa, in dem die UdSSR als Befreier von repressiven und ungerechten Regimen beschrieben wurde. In beiden Ländern wurde eine Tradition aus den 1920er Jahren übernommen: In der Weimarer Republik war nach dem 1. Weltkrieg der Volkstrauertag eingeführt worden, um der gefallenen Soldaten und ihrer Familien zu gedenken und sie zu ehren. Der Tag diente auch als Ausdruck von Solidarität, Versöhnung und Freundschaft zwischen den Nationen. Als Datum wurde der erste Sonntag (später der zweite) in der Fastenzeit festgelegt. Nachdem die Nazis 1933 die Regierung übernommen hatten, wurde per Gesetz ein Heldengedenktag geschaffen, der den Fokus des Gedenkens von der Erinnerung an die Toten auf die Ehrung der Helden verschob und die „Macht und den Willen, das Dritte Reich zu verteidigen,“ demonstrieren sollte. Flaggen durften nicht mehr auf Halbmast gesetzt werden, christliche Elemente und Symbole wurden entfernt und die Feiern wurden zu riesigen Nazi-Propagandaveranstaltungen. Ab 1939 fand der Volkstrauertag am 16. März statt. Westdeutschland führte den Volkstrauertag nach dem 2. Weltkrieg wieder ein. Der Termin wurde aber vom Anfang des Jahres an das Ende des Kirchenjahres (auf den vorletzten Sonntag vor dem ersten Advent) gelegt, um sich deutlich von der Tradition der Nazis abzugrenzen. Außerdem wurde er allen Menschen gewidmet, die der Gewalt repressiver Regime zum Opfer gefallen waren, nicht nur den Kriegsopfern. In der DDR wurde die „Gedenkstunde für die Opfer des Faschismus“ eingeführt. Die offiziellen Feiern konzentrierten sich allerdings nicht auf die deutschen Soldaten und Bürger, die im Krieg gestorben waren. Die Opfer des Faschismus wurden definiert als Juden und Sozialisten/Kommunisten; die toten Helden stammten aus der sowjetischen Armee. Seit der Wiedervereinigung Deutschlands ist die neue Hauptstadt Berlin Schauplatz der zentralen Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag, die der Tradition des früheren Westdeutschlands folgen. Der Volkstrauertag soll Ausdruck von Trauer, Achtung und Reflexion sein sowie für Frieden und Versöhnung eintreten. In Westdeutschland galt der 8. Mai 1945 lange als Tag der Niederlage, des Zusammenbruchs und des moralischen Bankrotts. Erst in den 1980er Jahren veränderte sich die westdeutsche Erinnerungskultur, sodass der 8. Mai auch als „Tag der Befreiung“ verstanden werden konnte. Die gefeierte Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker vom 8. Mai 1985 leistete einen großen Beitrag zu dieser Entwicklung. Bis heute wird in Deutschland bei Anlässen zum Gedenken an den 2. Weltkrieg darüber diskutiert, wie zwischen deutschen Tätern und deutschen Opfern zu unterscheiden ist.

Das Totengedenken ist ein offizieller deutscher Text zur Verwendung am Volkstrauertag. Sein Inhalt wurde über die Jahre um weitere Opfergruppen erweitert. Der Text wird vom Bundespräsidenten im Bundestag vorgelesen. Dies ist die aktuelle Version.

Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.
Wir gedenken der Soldaten, die in den Weltkriegen starben, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren.
Wir gedenken derer, die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden, Teil einer Minderheit waren oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.
Wir gedenken derer, die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben, und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.
Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren.
Wir gedenken heute auch derer, die bei uns durch Hass und Gewalt gegen Fremde und Schwache Opfer geworden sind.
Wir trauern mit allen, die Leid tragen um die Toten, und teilen ihren Schmerz.
Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.
- Von der offiziellen Website des Bundespräsidenten, abrufbar unter: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Berichte/DE/Frank-Walter-Steinmeier/2017/11/171119-Volkstrauertag.html

Widerstand gegen den Volkstrauertag
Beispiele für die antifaschistische Agitation gegen den Volkstrauertag. „Volkstrauertag Abschaffen!“, Flugblatt der Antifaschistischen Aktion Gotha 2014. Die Argumente beziehen sich auf aktuelle deutsche Diskussionen darüber, wer in der Nazizeit Opfer und wer Täter war.

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Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker während der Gedenkfeier zum 40. Jahrestag des Kriegsendes in Europa und des Endes der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft am 8. Mai 1985 im Bundestag.

[...] Und dennoch wurde von Tag zu Tag klarer, was es heute für uns alle gemeinsam zu sagen gilt: Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte. Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen. Wir haben wahrlich keinen Grund, uns am heutigen Tag an Siegesfesten zu beteiligen. Aber wir haben allen Grund, den 8. Mai 1945 als das Ende eines Irrweges deutscher Geschichte zu erkennen, das den Keim der Hoffnung auf eine bessere Zukunft barg.
- Von der offiziellen Website des Bundespräsidenten, abrufbar unter: www.bundespraesident.de/SharedDocs/Downloads/DE/Reden/2015/02/150202-RvW-Rede-8-Mai-1985-englisch.pdf?__blob=publicationFile

Dänemark

Dänemark wurde am 9. April 1940 von den Deutschen besetzt. Während der ersten drei Jahre der Besetzung arbeitete die dänische Regierung mit der Besatzungsmacht der Nazis zusammen (Protektorat). Nach Aufständen im August 1943 trat die Regierung zurück und eine Widerstandsbewegung entstand, die Sabotageakte und gegen die Nazis gerichtete Propaganda organisierte. In der Nacht vom 4. Mai 1945 ergaben sich deutsche Truppen in den Niederlanden, Nordwestdeutschland und Dänemark den britischen Soldaten und ab dem 5. Mai, 8 Uhr war Dänemark offiziell befreit. Die einzige Ausnahme war die Insel Bornholm in der Ostsee, die bis zum 5. April 1946 von sowjetischen Truppen besetzt war. Die geostrategische Position der Insel in Verbindung mit wachsenden Spannungen zwischen den alliierten Streitkräften erschwerte 1945 eine Lösung. Kurz nach dem Krieg wurde Dänemark als alliierter Partner anerkannt und trat den Vereinten Nationen und der NATO bei. Die Befreiung wird in Dänemark am 5. Mai mit Reden, Paraden und Kranzniederlegungen an Denkmälern gefeiert, bei denen vor allem die Widerstandskämpfer geehrt werden, die während der Besatzung umgekommen sind. In der Nacht des 4. Mai stellen viele Menschen Kerzen in die Fenster, um an die Aufhebung des Verdunkelungszwangs während des Kriegs zu erinnern. Seit 1945 haben sich Politiker, Historiker und die breite Öffentlichkeit an zahlreichen Diskussionen über die Rolle Dänemarks im 2. Weltkrieg beteiligt. Bei einer der größten Kontroversen der dänischen Geschichte geht es vor allem um die Frage, ob es eine richtige Entscheidung war, mit den Nazis zu kooperieren, und um die Bedeutung und den Umfang der Widerstandsbewegung.

Gedenkhain in Ryvangen
In Ryvangen, nördlich von Kopenhagen, wurde im Sommer 1945 ein Gedenkhain eingerichtet, um an die gefallenen Widerstandskämpfer zu erinnern. Das Militärgelände und die Kasernen wurden nach der Besatzung von den Deutschen beschlagnahmt und ein Teil des Exerzierplatzes wurde zu einer Hinrichtungs- und Grabstätte für die Mitglieder des dänischen Widerstands. Jedes Jahr finden dort Gedenkveranstaltungen statt: am 4. und 5. Mai zur Befreiung, am 29. August zum Ende der Kollaboration mit den Nazis und am 30. September zur Rettung der dänischen Juden im Jahr 1943. Zu Weihnachten werden Reden gehalten und Lieder gesungen, und die Gräber werden mit Kerzenlicht und Blumen geschmückt. Die gefangenen Widerstandskämpfer wurden an Holzpfählen festgebunden und von Erschießungskommandos mit Gewehren hingerichtet. Heute ist der Hinrichtungsort eines der Denkmäler in Ryvangen, gekennzeichnet durch eine Gedenktafel mit einem Vers des dänischen Autors und Priesters Kaj Munk (1898–1944), der selbst von der Gestapo getötet wurde. Die Inschrift lautet: „Jungs ihr Jungs, die ihr starbt – ihr habt für Dänemark – in der dunkelsten Finsternis – eine leuchtende Morgenröte entfacht“.

Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen: Rede vom 29. August 2003
Zur Erinnerung an den 60. Jahrestag des Endes der Kollaborations-Regierung hielt der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen von der liberalen Partei Venstre, eine Rede, die zu heftigen Diskussionen führte, weil er dänische Politiker für ihren moralischen Verrat während des 2. Weltkriegs kritisierte. Er nutzte die Diskussionen, um eine aktivistische Außenpolitik und die dänische Beteiligung an Militäraktionen im Irak-Krieg zu rechtfertigen, der am 20. März 2003 begonnen hatte.

Meine Damen und Herren,
der 29. August 1943 ist ein Datum, an das wir uns erinnern sollten – und auf das wir stolz sein sollten. An diesem Tag wurde Dänemarks Ehre gerettet. Endlich hatte die dänische Regierung die Kollaboration mit der deutschen Besatzungsmacht beendet und ist zurückgetreten. Nach mehr als drei Jahren der Zusammenarbeit mit den Deutschen waren die Grenzen endlich klar gezogen. Es war keinen Tag zu früh. […]
Weder die Regierung oder der Folketing (das dänische Parlament) noch die etablierte dänische Gesellschaft beendeten die Zusammenarbeit mit den Deutschen. Im Gegenteil, seit dem Beginn der Besatzung Dänemarks am 9. April 1940 folgte das offizielle Dänemark den Deutschen pflichtbewusst. Sie kollaborierten auf allen Ebenen und zwangen auch die Bevölkerung dazu.[…]
Die politische Führung Dänemarks verfolgte gegenüber den Deutschen nicht nur eine passive Anpassungspolitik. Die Regierung entschied sich bewusst und offen für eine aktive Politik gegenüber der Besatzungsmacht – in der Hoffnung, dass die Souveränität zumindest teilweise respektiert würde. Die aktuelle historische Forschung zeigt sogar, dass es sich um eine sehr aktive Anpassungspolitik handelte. Viele waren von einem deutschen Sieg überzeugt. Politiker, Beamte und Organisationen bereiteten sich darauf vor, den Platz Dänemarks in einem neuen, von den Nazis dominierten Europa zu sichern. Wichtige Beamte arbeiteten an Plänen, die dänische Wirtschaft entsprechend der Planwirtschaftsmuster der Nazis umzugestalten.
Das Hauptargument der Kooperationspolitik war, dass jegliche dänische Opposition gegen die deutsche Vorherrschaft nutzlos sei. Durch die Kooperation mit der Besatzungsmacht blieben Dänemark und der dänischen Bevölkerung die größten Kriegsschrecken erspart. Mit Erfolg. Die Dänen vermieden größere Schäden. Landwirtschaft und Industrie profitierten vom Krieg. Aus dem Blickwinkel kalter Berechnung könnte man die Kooperation als politisch notwendig, weise und angemessen bezeichnen. Dies ist aber ein sehr gefährlicher Gedanke. Wenn alle gedacht hätten wie die kooperierenden dänischen Politiker, hätte Hitler den Krieg mit hoher Wahrscheinlichkeit gewonnen und Europa wäre von den Nazis beherrscht worden. Doch glücklicherweise dachten weder die Briten noch später die Amerikaner und Russen wie die dänische Elite. Sie kämpften auf Leben und Tod gegen die Nazis und retteten so unsere Freiheit.
Am Ende waren es die wachsende Unzufriedenheit der Dänen mit der Kooperationspolitik und die Aktionen der mutigen Widerstandskämpfer, die die Regierung zwangen, die Kooperation mit den Deutschen aufzugeben. Wir sollten glücklich und stolz darüber sein. Wir schulden den Widerstandskämpfern ein großes Dankeschön. Sie widersetzten sich den kollaborierenden Politikern, indem sie die Deutschen sabotierten und mit den Alliierten zusammenarbeiteten. Auf diese Weise sicherten sie Dänemark einen Platz auf der richtigen Seite im Kampf gegen die Nazis.
Natürlich muss man vorsichtig sein, über die Vergangenheit auf der Grundlage der heutigen Bedingungen zu urteilen. Heute wissen wir, dass die Nazis den Krieg verloren haben, nachdem die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion 1941 in den Krieg eingetreten waren – deshalb erscheint die aktive Anpassungspolitik der Dänen falsch und ungerechtfertigt. Wenn sie bis zum Ende des Kriegs fortgesetzt worden wäre, wäre Dänemark als deutscher Vasallenstaat und Partner wahrgenommen worden. Angesichts der Geschichte wäre das eine Katastrophe gewesen. […]
Selbst auf der Grundlage der damaligen Prämissen erscheint die dänische Politik naiv, und es ist äußerst verwerflich, dass die politische Elite in Dänemark nicht einmal eine neutrale Politik, sondern eine aktive Anpassungspolitik verfolgte.

Im Kampf zwischen Demokratie und Diktatur kann niemand neutral bleiben. Man muss sich für die Demokratie und gegen die Diktatur entscheiden. An diesem Punkt wurde die Anpassungspolitik zu einem politischen und moralischen Versagen.

Im Lauf der Geschichte sind wir Dänen zu oft unter der Flagge unseres eigenen Vorteils gesegelt und haben andere für unsere Freiheit und unseren Frieden kämpfen lassen.
Die Lektion vom 29. August 1943 besteht darin, dass man sich aktiv für Werte wie Freiheit, Demokratie und Menschenrechte einsetzen und sie verteidigen muss, wenn man es ernst mit ihnen meint. Auch unter schwierigen Bedingungen. Auch wenn unbeliebte und gefährliche Entscheidungen getroffen werden müssen.
Lasst uns den Einsatz unserer Landsmänner in der Widerstandsbewegung zur Verteidigung von Freiheit und Demokratie ehren.
Vielen Dank
- Von der Website Danmarkshistorien, danmarkshistorien.dk, Aarhus Universität. Übersetzung: Anne Sørensen. Abrufbar unter: https://danmarkshistorien.dk/leksikon-og-kilder/vis/materiale/anders-fogh-rasmussen-v-om-samarbejdspolitikken-29-august-2003/

Hans Kirchhoff: „Fogh dämonisiert die Geschichte“, 16. Oktober 2003
In einem Leitartikel für die dänische Zeitung Information kommentiert der dänische Historiker Hans Kirchhoff die Rede des dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen.

Fogh dämonisiert Geschichte
[…] Wenn wir über die Kollaboration sprechen, ist es wichtig daran zu erinnern, dass alle besetzten Länder in Hitlers Europa mit der Besatzungsmacht kooperiert haben […].
Und wenn wir uns die verantwortlichen Staatsmänner genauer anschauen, konnte niemand von ihnen einfach die Zügel loslassen und aus der Hand geben. Das hätte den Zusammenbruch aller lebenswichtigen gesellschaftlichen Funktionen bedeuten und zu Chaos, Hunger und Tod geführt. Es ist auch wichtig, die Unterschiede zwischen den Jahren 1940–41 und 1942–43 zu sehen. In den Anfangsjahren des Kriegs, als die Wehrmacht unbesiegbar erschien, musste man mit einer Besatzung über Generationen hinweg rechnen, wie derjenigen unter der die Menschen in Südjütland von 1864 bis 1920 gelebt hatten [nach dem Deutsch-Dänischen Krieg 1864; das Gebiet war bis zum Versailler Friedensvertrag deutsch]. Vor allem in diesen Jahren wurde eine aktive Kollaboration verfolgt, in erster Linie um durch ökonomische Anpassung politisch und als Nation zu überleben. Doch wie stets mit Politikern als verzögerndem Faktor, im Gegensatz zu den Technokraten und Bürokraten in den Ministerien.
Es ist diese Politik, die heute als naiv bezeichnet wird, aber 1940/41 eine realistische Bewertung der dänischen Zukunft als Provinz in einem Nazi-Reich zu sein schien. Nur die überzeugtesten Englandfreunde konnten glauben, dass England den Krieg gewinnen könnte. Es ist wichtig festzuhalten, dass Widerstand in den ersten Jahren der Besatzung keine Alternative zur Kollaboration war. Widerstand muss auf dem Glauben beruhen, dass der illegale Kampf zweckmäßig ist. Und ein solcher Glaube bestand nicht in den Jahren, als „die deutschen Siege die Welt in Erstaunen und Bewunderung versetzte” [ein berühmtes Zitat des dänischen Außenministers Erik Scavenius, Juli 1940]. Wir vergessen zu häufig, dass es bis zum Jahr 1943 dauerte, bis die europäischen Widerstandsbewegungen ihren Durchbruch hatten, nämlich in der Zeit nach der Schlacht von Stalingrad, als deutlich wurde, dass Deutschland nicht gewinnen konnte. Erst da waren Mentalität, Menschen und Waffen bereit und erst dann waren Teile der öffentlichen Meinung darauf vorbereitet, die Opfer zu akzeptieren, die der Widerstandskampf erfordern würde.
Der Ministerpräsident bezeichnet die Kollaboration als unmoralisch und spricht von einem Scheitern. So klang es auch in der Untergrundpresse: Die Politik der Zusammenarbeit sei selbstsüchtig und materialistisch, Opposition sei solidarisch und idealistisch. […] Doch ist es weniger moralisch, demokratische Institutionen gegen die Nazifizierung zu schützen, wie wir es in Norwegen gesehen haben – oder die Wirtschaft gegen Plünderung und Zerstörung zu verteidigen – oder die Bevölkerung vor Hungerdeportation zu bewahren – ich sehe das ehrlich gesagt nicht. […] Wir müssen auch beachten, dass die Kollaborationspolitik von der gesamten Wirtschaft unterstützt wurde, von den Gewerkschaften und Arbeitnehmerorganisationen, von der Kirche und der Presse. […]
Das sollte nicht auf eine falsche Idealisierung der Kooperationspolitik hinauslaufen, weil es seinen Preis hatte, dass Dänemark als das Land durch den Weltkrieg gekommen ist, das am wenigsten zerstört wurde – einen Preis, der uns auch heute noch beeinflusst. Deshalb kann ich die Ehrung der Widerstandsbewegung für ihre Opposition gegen den Staatsegoismus und für ihre Solidarität im Kampf gegen die Nazis voll und ganz unterstützen. Dies darf nur nicht durch die Dämonisierung der Kollaborationspolitik geschehen. Das ist zu einfach und zu billig und es ist unhistorisch.
- Von der Website Danmarkshistorien, danmarkshistorien.dk, übersetzt von Valeska Henze. Abrufbar unter: https://danmarkshistorien.dk/leksikon-og-kilder/vis/ materiale/kronik-i-information-fogh-daemoniserer-historien-2003/

Fragen zur Reflexion

  1. Gibt es in Deiner Nähe Gedenkstätten oder Denkmäler zum 2. Weltkrieg? Wann wurden sie erbaut? Wie werden Ereignisse, Menschen usw. dargestellt und abgebildet? Warum?
  2. Gibt es in Deiner Region einen gesetzlichen Feiertag, um an das Ende des 2. Weltkriegs zu erinnern? Wann und wie wird er gefeiert?
  3. Gab es eine Veränderung bei den Feiern zum 9. Mai nach 1989? Was war der Grund? Wie und warum wurden sie verändert?