2.6 Die Marienburg in Polen

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==Zentrale des Deutschen Ordens==
==Zentrale des Deutschen Ordens==
Nachdem der Hochmeistersitz des Deutschen Ordens nach dem Fall Akkons in Palästina (1291) bereits nach Venedig zu verlegt worden war, schien er auch dort – mit Blick auf den Häresieprozess gegen die Oberen des Templerordens ab 1307 – gefährdet. Damit geriet die Marienburg in den Blick des Hochmeisters Siegfried von Feuchtwangen, der 1309 nach der Eroberung Pommerellens durch den Deutschen Orden dorthin übersiedelte. Doch erst sein zweiter Nachfolger Werner von Orseln erhob die Burg durch Einrichtung einer zentralen Kanzlei zum administrativen Mittelpunkt des Deutschen Ordens und seines Staates. Die bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts nördlich angelegte Vorburg wurde – parallel zur 1347 begonnenen Errichtung eines an englischen und burgundischen Vorbilder orientierten, viereckigen Wohnturms als Hochmeisterpalast mit großen Empfangs- und Esssälen (Großer Remter und Sommerremter) – zu einem Repräsentationskomplex umgestaltet, in dem die aus verschiedenen europäischen Ländern stammenden adligen Gäste empfangen wurden. Im nördlichen Vorfeld dieses heute „Mittelschloss“ genannten Teils wurde eine neue Vorburg mit Wirtschafts- und Gesindegebäuden sowie einem Spital und der St.-Lorenzkirche für die Bediensteten angelegt. Die veränderte geostrategische Lage des Bauwerks, die Konzentration der wichtigsten Amtsträger des Deutschen Ordens (Gebietiger) in der Burg und ihre zunehmende ökonomische Bedeutung als Einnahmezentrum des Ordensstaates korrespondierten mit der abnehmenden militärischen Funktion. Ihre dennoch beeindruckenden Befestigungsanlagen, die im 15. Jahrhundert nach dem polnisch-litauischen Sieg über den Deutschen Orden bei Grunwald / Tannenberg (1410) und der erfolgreichen Verteidigung der Marienburg gegen das polnisch-litauische Heer durch den späteren Hochmeister Heinrich von Plauen um eine massive Verteidigungsmauer mit halbzylindrigen Basteien zur Aufstellung von Kanonen ergänzt wurden, dienten auch der Machtdemonstration des Deutschen Ordens gegenüber seinen Untertanen. Überdies war die Marienburg durch die Besuche auswärtiger Fürsten und westeuropäischer Adliger, die an Kreuzzügen gegen die Litauer, sogenannten Reisen als einem Kernelement europäischer Adelskultur, teilnehmen wollten, auch ein Kommunikationszentrum innerhalb und außerhalb des Deutschen Ordens.
Nachdem der Hochmeistersitz des Deutschen Ordens nach dem Fall Akkons in Palästina (1291) bereits nach Venedig zu verlegt worden war, schien er auch dort – mit Blick auf den Häresieprozess gegen die Oberen des Templerordens ab 1307 – gefährdet. Damit geriet die Marienburg in den Blick des Hochmeisters Siegfried von Feuchtwangen, der 1309 nach der Eroberung Pommerellens durch den Deutschen Orden dorthin übersiedelte. Doch erst sein zweiter Nachfolger Werner von Orseln erhob die Burg durch Einrichtung einer zentralen Kanzlei zum administrativen Mittelpunkt des Deutschen Ordens und seines Staates. Die bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts nördlich angelegte Vorburg wurde – parallel zur 1347 begonnenen Errichtung eines an englischen und burgundischen Vorbilder orientierten, viereckigen Wohnturms als Hochmeisterpalast mit großen Empfangs- und Esssälen (Großer Remter und Sommerremter) – zu einem Repräsentationskomplex umgestaltet, in dem die aus verschiedenen europäischen Ländern stammenden adligen Gäste empfangen wurden. Im nördlichen Vorfeld dieses heute „Mittelschloss“ genannten Teils wurde eine neue Vorburg mit Wirtschafts- und Gesindegebäuden sowie einem Spital und der St.-Lorenzkirche für die Bediensteten angelegt. Die veränderte geostrategische Lage des Bauwerks, die Konzentration der wichtigsten Amtsträger des Deutschen Ordens (Gebietiger) in der Burg und ihre zunehmende ökonomische Bedeutung als Einnahmezentrum des Ordensstaates korrespondierten mit der abnehmenden militärischen Funktion. Ihre dennoch beeindruckenden Befestigungsanlagen, die im 15. Jahrhundert nach dem polnisch-litauischen Sieg über den Deutschen Orden bei Grunwald / Tannenberg (1410) und der erfolgreichen Verteidigung der Marienburg gegen das polnisch-litauische Heer durch den späteren Hochmeister Heinrich von Plauen um eine massive Verteidigungsmauer mit halbzylindrigen Basteien zur Aufstellung von Kanonen ergänzt wurden, dienten auch der Machtdemonstration des Deutschen Ordens gegenüber seinen Untertanen. Überdies war die Marienburg durch die Besuche auswärtiger Fürsten und westeuropäischer Adliger, die an Kreuzzügen gegen die Litauer, sogenannten Reisen als einem Kernelement europäischer Adelskultur, teilnehmen wollten, auch ein Kommunikationszentrum innerhalb und außerhalb des Deutschen Ordens.
==Unter polnischer Herrschaft==
Die für den Deutschen Orden verheerende Niederlage in der Schlacht von Grunwald / Tannenberg (1410) und der finanziell belastende Erste Thorner Friede (1411), aber noch mehr der als Konflikt mit den Ständen des Ordenslandes ausgebrochene Dreizehnjährige Krieg (1454-1466), in dessen Verlauf nicht bezahlte Söldner 1457 die Marienburg an den polnischen König Kazimierz IV. verkauften, beschleunigten den Niedergang des Ordens. Zwar erfolgte eine zeremonielle Inbesitznahme der Burg durch den feierlichen Einzug des polnischen Königs, die Huldigung der Einwohner Marienburgs sowie die Installation der Hoheitszeichen. Doch in der Folgezeit hatte die Marienburg für die Herrschaftsrepräsentation des polnischen Königs trotz Errichtung einer Residenz im Hochmeisterpalast keine zentrale Bedeutung mehr. Dagegen erfüllte sie in der Frühen Neuzeit eine ganze Reihe wichtiger regionaler Funktionen: Sie war Sitz des Starosten und des Schatzmeisters des Königlichen Preußens sowie des königlichen Ökonomen, Zentrum der gleichnamigen Wojewodschaft und Versammlungsort für die Landtage der Wojewodschaft (''sejmiki'') sowie – abwechselnd mit Graudenz / Grudziądz – für den Preußischen Generallandtag. Ab dem 17. Jahrhundert weilten mit Unterbrechungen durch den Dreißigjährigen Krieg bis zur Auflösung ihres Ordens in Preußen 1780 Jesuitenpatres im Hochschloss, die der Marienkapelle eine barocke Ausstattung mit dem Gnadenbild der heiligen Maria stifteten. Den Ruf der Uneinnehmbarkeit, den die Marienburg seit ihrer erfolgreichen Verteidigung durch den Deutschen Orden im Jahre 1410 besaß, verlor das Bauwerk allerdings in seiner Zeit als königlich-preußisches Verwaltungszentrum: Es wurde – noch immer von militärstrategischer Bedeutung – während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) und im Zweiten Nordischen Krieg (1655-1660/61) gleich zweimal von den Schweden besetzt.

Revision as of 13:15, 3 July 2019

Symbol im Wandel: die Marienburg in Polen – ein europäischer Erinnerungsort

Eugen Kotte

Die Marienburg in Polen, größte Landburg Europas, wurde durch ihre im Verlauf der Jahrhunderte wechselnden Besitzer vom Deutschen Orden über das Königreich Polen bis hin zu Preußen-Deutschland und nach 1945 erst die Volksrepublik und dann die Republik Polen architektonisch, funktional und als nationales Symbol mehrfach umgestaltet und unterschiedlich genutzt, so dass sie nun einen europäischen Erinnerungsort mit multilateraler Ausstrahlung bildet.

Marienburg.jpg

Mittelalterlicher Konventssitz und Grenzfestung

Nachdem der Deutsche Orden (Herren des Hauses der Heiligen Maria der Deutschen zu Jerusalem) 1230 dem Ruf nach Bekehrung der paganen Prussen gefolgt war, wurde spätestens im Jahre 1276 mit dem Bau des ältesten Teils der Marienburg (castrum sanctae Marienburch), seit dem 16. Jahrhundert „Hochschloss“ genannt, begonnen. Die Lage an der westlichen Peripherie des entstehenden Ordensstaates spricht für die Nutzung als Grenzfestung. Ab 1280 ist der erste Ordenskonvent unter dem Komtur Heinrich von Wilnowe nachweisbar. Die bis 1300 nahezu vollendete Gestaltung der Burg als regelmäßiges Viereck nach Art der zeitgenössischen Klosterburg entsprach der mönchischen Orientierung des Ritterordens. Benannt wurde die Burg nach der Schutzpatronin des Deutschen Ordens, der Gottesmutter Maria, der auch die Kapelle geweiht wurde. Auch nach der Übersiedlung des Hochmeisters von Venedig nach Marienburg bildete das Hochschloss weiterhin einen Klausurbereich, der in der Regel nur von Ordensmitgliedern betreten werden durfte.

Zentrale des Deutschen Ordens

Nachdem der Hochmeistersitz des Deutschen Ordens nach dem Fall Akkons in Palästina (1291) bereits nach Venedig zu verlegt worden war, schien er auch dort – mit Blick auf den Häresieprozess gegen die Oberen des Templerordens ab 1307 – gefährdet. Damit geriet die Marienburg in den Blick des Hochmeisters Siegfried von Feuchtwangen, der 1309 nach der Eroberung Pommerellens durch den Deutschen Orden dorthin übersiedelte. Doch erst sein zweiter Nachfolger Werner von Orseln erhob die Burg durch Einrichtung einer zentralen Kanzlei zum administrativen Mittelpunkt des Deutschen Ordens und seines Staates. Die bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts nördlich angelegte Vorburg wurde – parallel zur 1347 begonnenen Errichtung eines an englischen und burgundischen Vorbilder orientierten, viereckigen Wohnturms als Hochmeisterpalast mit großen Empfangs- und Esssälen (Großer Remter und Sommerremter) – zu einem Repräsentationskomplex umgestaltet, in dem die aus verschiedenen europäischen Ländern stammenden adligen Gäste empfangen wurden. Im nördlichen Vorfeld dieses heute „Mittelschloss“ genannten Teils wurde eine neue Vorburg mit Wirtschafts- und Gesindegebäuden sowie einem Spital und der St.-Lorenzkirche für die Bediensteten angelegt. Die veränderte geostrategische Lage des Bauwerks, die Konzentration der wichtigsten Amtsträger des Deutschen Ordens (Gebietiger) in der Burg und ihre zunehmende ökonomische Bedeutung als Einnahmezentrum des Ordensstaates korrespondierten mit der abnehmenden militärischen Funktion. Ihre dennoch beeindruckenden Befestigungsanlagen, die im 15. Jahrhundert nach dem polnisch-litauischen Sieg über den Deutschen Orden bei Grunwald / Tannenberg (1410) und der erfolgreichen Verteidigung der Marienburg gegen das polnisch-litauische Heer durch den späteren Hochmeister Heinrich von Plauen um eine massive Verteidigungsmauer mit halbzylindrigen Basteien zur Aufstellung von Kanonen ergänzt wurden, dienten auch der Machtdemonstration des Deutschen Ordens gegenüber seinen Untertanen. Überdies war die Marienburg durch die Besuche auswärtiger Fürsten und westeuropäischer Adliger, die an Kreuzzügen gegen die Litauer, sogenannten Reisen als einem Kernelement europäischer Adelskultur, teilnehmen wollten, auch ein Kommunikationszentrum innerhalb und außerhalb des Deutschen Ordens.

Unter polnischer Herrschaft

Die für den Deutschen Orden verheerende Niederlage in der Schlacht von Grunwald / Tannenberg (1410) und der finanziell belastende Erste Thorner Friede (1411), aber noch mehr der als Konflikt mit den Ständen des Ordenslandes ausgebrochene Dreizehnjährige Krieg (1454-1466), in dessen Verlauf nicht bezahlte Söldner 1457 die Marienburg an den polnischen König Kazimierz IV. verkauften, beschleunigten den Niedergang des Ordens. Zwar erfolgte eine zeremonielle Inbesitznahme der Burg durch den feierlichen Einzug des polnischen Königs, die Huldigung der Einwohner Marienburgs sowie die Installation der Hoheitszeichen. Doch in der Folgezeit hatte die Marienburg für die Herrschaftsrepräsentation des polnischen Königs trotz Errichtung einer Residenz im Hochmeisterpalast keine zentrale Bedeutung mehr. Dagegen erfüllte sie in der Frühen Neuzeit eine ganze Reihe wichtiger regionaler Funktionen: Sie war Sitz des Starosten und des Schatzmeisters des Königlichen Preußens sowie des königlichen Ökonomen, Zentrum der gleichnamigen Wojewodschaft und Versammlungsort für die Landtage der Wojewodschaft (sejmiki) sowie – abwechselnd mit Graudenz / Grudziądz – für den Preußischen Generallandtag. Ab dem 17. Jahrhundert weilten mit Unterbrechungen durch den Dreißigjährigen Krieg bis zur Auflösung ihres Ordens in Preußen 1780 Jesuitenpatres im Hochschloss, die der Marienkapelle eine barocke Ausstattung mit dem Gnadenbild der heiligen Maria stifteten. Den Ruf der Uneinnehmbarkeit, den die Marienburg seit ihrer erfolgreichen Verteidigung durch den Deutschen Orden im Jahre 1410 besaß, verlor das Bauwerk allerdings in seiner Zeit als königlich-preußisches Verwaltungszentrum: Es wurde – noch immer von militärstrategischer Bedeutung – während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) und im Zweiten Nordischen Krieg (1655-1660/61) gleich zweimal von den Schweden besetzt.