2.20 Der Rathausplatz in Riga

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==Der Rathausplatz in Riga - Abbild des Umgangs mit dem historischen Erbe in einer Stadt mit wechselhafter Geschichte==
==Der Rathausplatz in Riga - Abbild des Umgangs mit dem historischen Erbe in einer Stadt mit wechselhafter Geschichte==
Der unter dem Namen Rathausplatz bekannte Platz bildete seit dem Mittelalter den wirtschaftlichen und administrativen Mittelpunkt Rigas – der im Jahre 1201 im östlichen Teil des Ostseeraumes gegründeter Stadt, in der bis zur Wende zum 20. Jahrhundert die Deutschen tonangebend waren. Zwei prachtvolle Gebäude – das Haus der Bruderschaft der unverheirateten auswärtigen Kaufleute, ihrer Kaufgesellen und Schiffer (das Schwarzhäupterhaus) und das Rathaus – brachten besonders ausdrucksvoll die wirtschaftliche und politische Bedeutung der Stadt an der Düna zum Ausdruck. Mehrmals hin und wieder umgebaut schmückten beide Bauten sowie die Rolandstatue den wohlgestalteten Platz und bildeten bis zum Zweiten Weltkrieg zusammen mit historisch weniger wertvollen Bauten ein einheitliches Ensemble. Allerdings schon in der Zwischenkriegszeit, als Riga zur Hauptstadt des neuen Nationalstaates Lettland wurde, wurden maßstäbliche ideologisch begründete Veränderungen des Aussehens des Platzes unternommen. Um die deutsche Prägung Rigas zu relativieren hat man den Bau des neuen Gebäudes der Stadtverwaltung an einer Seite des Rathausplatzes angefangen.<br />
Im Sommer 1941 während des Anmarsches der Wehrmachtruppen ging der Platz in Flammen auf und nach der Löschung der Brandstätten lagen die Häuser in Trümmern. Solange Riga sich unter deutscher Besatzung befand, herrschte die Entschlossenheit, die wichtigsten historischen Gebäude auf dem Rathausplatz wiederaufzubauen. Als nach dem Krieg die Sowjetunion ihre Macht in im Jahre 1940 annektierten Lettland wiederherstellte, erklärten die Entscheidungsträger vor allem das Schwarzhäupterhaus zu einem Denkmal der fremden Ritterkultur, die in ihrem Kern dem lettischen Volk feindlich sei. Seine Überreste wurden im Jahr 1948 gesprengt. Sechs Jahre später beseitigte man auch die noch starken Reste des Rathausgebäudes und überführte die Rolandstatue in das städtische Depot.
In der Mitte des Platzes hat man einen öffentlichen Blumengarten mit Bänken eingerichtet. Herum entstanden nach und nach für die Hauptstadt Sowjetlettlands bedeutende Bauten, die damaligen technischen Möglichkeiten und damalige Ästhetik widerspiegelten – das Gebäude des Polytechnische Institut (die gegenwärtige Technische Universität) und eine fünfstöckige Wohnhäuserreihe, die man mit der Hilfe pseudomittelalterlicher bzw. pseudofrühneuzeitlicher Giebel mit der Umgebung der Altstadt zu harmonisieren versuchte. Mit dem im Jahre 1971 fertiggestellten Museum für den Roten Lettischen Schützen (das gegenwärtige Okkupationsmuseum) – den Helden der bolschewistischen Regimes in Russland nach 1917 – wurde auf dem Platz ein Akzent der sowjetischen Ideologie gesetzt.<br />
Ein beachtenswerter Teil der lettischen Intellektuellen sowie der Bevölkerung hat den Verlust des historischen Rathausplatzes schon in der Sowjetzeit bereut und nach der Wiederherstellung der staatlichen Unabhängigkeit Lettlands in den Jahren 1990/1991 strebte man an, vor allem das Schwarzheupterhaus wiederaufzubauen. Im Dezember 1999 wurde das neuerrichtete Schwarzhäupterhaus als Museum, Veranstaltungsraum und Konzerthaus eingeweiht. Von vielen Einwohner Rigas wurde er als ein Symbol des Rückkehrs Lettlands und seiner Hauptstadt in die westeuropäische Wertegemeinschaft empfunden. Gleichzeitig wurden auch das anliegende Schwab‘sche Haus und das Zeughaus der Rigaer Stadtgarde (das Haus der Blauen Garde) nach den alten Mustern wiederaufgebaut. 2003 folgte das neue Gebäude des Rigaer Rates. Das Haus hat nur die historische Fassade zurückgewonnen, die Innenräume wurden modern gestaltet. Auch die Kopie der historischen Rolandstatue wurde auf dem Platz wiederaufgestellt. Die Gegenwart und jüngste Vergangenheit vertreten auf dem Rathausplatz der Neubau eines Nobelhotels und ein multifunktionales Bürogebäude (das Kamarinhaus), deren architektonische und ästhetische Qualität viel Kritik ausgelöst hat.

Revision as of 13:53, 3 July 2019

Ilgvars Misāns

Der Rathausplatz in Riga - Abbild des Umgangs mit dem historischen Erbe in einer Stadt mit wechselhafter Geschichte

Der unter dem Namen Rathausplatz bekannte Platz bildete seit dem Mittelalter den wirtschaftlichen und administrativen Mittelpunkt Rigas – der im Jahre 1201 im östlichen Teil des Ostseeraumes gegründeter Stadt, in der bis zur Wende zum 20. Jahrhundert die Deutschen tonangebend waren. Zwei prachtvolle Gebäude – das Haus der Bruderschaft der unverheirateten auswärtigen Kaufleute, ihrer Kaufgesellen und Schiffer (das Schwarzhäupterhaus) und das Rathaus – brachten besonders ausdrucksvoll die wirtschaftliche und politische Bedeutung der Stadt an der Düna zum Ausdruck. Mehrmals hin und wieder umgebaut schmückten beide Bauten sowie die Rolandstatue den wohlgestalteten Platz und bildeten bis zum Zweiten Weltkrieg zusammen mit historisch weniger wertvollen Bauten ein einheitliches Ensemble. Allerdings schon in der Zwischenkriegszeit, als Riga zur Hauptstadt des neuen Nationalstaates Lettland wurde, wurden maßstäbliche ideologisch begründete Veränderungen des Aussehens des Platzes unternommen. Um die deutsche Prägung Rigas zu relativieren hat man den Bau des neuen Gebäudes der Stadtverwaltung an einer Seite des Rathausplatzes angefangen.

Im Sommer 1941 während des Anmarsches der Wehrmachtruppen ging der Platz in Flammen auf und nach der Löschung der Brandstätten lagen die Häuser in Trümmern. Solange Riga sich unter deutscher Besatzung befand, herrschte die Entschlossenheit, die wichtigsten historischen Gebäude auf dem Rathausplatz wiederaufzubauen. Als nach dem Krieg die Sowjetunion ihre Macht in im Jahre 1940 annektierten Lettland wiederherstellte, erklärten die Entscheidungsträger vor allem das Schwarzhäupterhaus zu einem Denkmal der fremden Ritterkultur, die in ihrem Kern dem lettischen Volk feindlich sei. Seine Überreste wurden im Jahr 1948 gesprengt. Sechs Jahre später beseitigte man auch die noch starken Reste des Rathausgebäudes und überführte die Rolandstatue in das städtische Depot. In der Mitte des Platzes hat man einen öffentlichen Blumengarten mit Bänken eingerichtet. Herum entstanden nach und nach für die Hauptstadt Sowjetlettlands bedeutende Bauten, die damaligen technischen Möglichkeiten und damalige Ästhetik widerspiegelten – das Gebäude des Polytechnische Institut (die gegenwärtige Technische Universität) und eine fünfstöckige Wohnhäuserreihe, die man mit der Hilfe pseudomittelalterlicher bzw. pseudofrühneuzeitlicher Giebel mit der Umgebung der Altstadt zu harmonisieren versuchte. Mit dem im Jahre 1971 fertiggestellten Museum für den Roten Lettischen Schützen (das gegenwärtige Okkupationsmuseum) – den Helden der bolschewistischen Regimes in Russland nach 1917 – wurde auf dem Platz ein Akzent der sowjetischen Ideologie gesetzt.

Ein beachtenswerter Teil der lettischen Intellektuellen sowie der Bevölkerung hat den Verlust des historischen Rathausplatzes schon in der Sowjetzeit bereut und nach der Wiederherstellung der staatlichen Unabhängigkeit Lettlands in den Jahren 1990/1991 strebte man an, vor allem das Schwarzheupterhaus wiederaufzubauen. Im Dezember 1999 wurde das neuerrichtete Schwarzhäupterhaus als Museum, Veranstaltungsraum und Konzerthaus eingeweiht. Von vielen Einwohner Rigas wurde er als ein Symbol des Rückkehrs Lettlands und seiner Hauptstadt in die westeuropäische Wertegemeinschaft empfunden. Gleichzeitig wurden auch das anliegende Schwab‘sche Haus und das Zeughaus der Rigaer Stadtgarde (das Haus der Blauen Garde) nach den alten Mustern wiederaufgebaut. 2003 folgte das neue Gebäude des Rigaer Rates. Das Haus hat nur die historische Fassade zurückgewonnen, die Innenräume wurden modern gestaltet. Auch die Kopie der historischen Rolandstatue wurde auf dem Platz wiederaufgestellt. Die Gegenwart und jüngste Vergangenheit vertreten auf dem Rathausplatz der Neubau eines Nobelhotels und ein multifunktionales Bürogebäude (das Kamarinhaus), deren architektonische und ästhetische Qualität viel Kritik ausgelöst hat.