Giedrius Janauskas, Vitalija Kasperavičiūtė und Christian Pletzing
Redaktion: Małgorzata Dąbrowska
Am Morgen des 15. Juli 1410 trafen bei den Dörfern Stębarg/Tannenberg und Grunwald/Grünfelde/Žalgiris rund 21 000 Ritter unter der Fahne des Deutschen Ordens auf eine 29 000 Mann starke polnisch-litauische Armee unter der Führung des polnischen Königs Władysław Jagiełło und des litauischen Großherzogs Vytautas/Witold. Am Abend desselben Tages war die Armee des Deutschen Ordens besiegt, waren der Hochmeister Ulrich von Jungingen und 200 Ritter des Ordens gefallen. Der Orden hatte den Nimbus der Überlegenheit verloren; er hatte den Höhepunkt seiner Macht überschritten. Die Schlacht von Grunwald war eine der größten Schlachten des Mittelalters und überdauerte jahrhundertelang in den Erinnerungen von Polen, Litauern und Deutschen.
Zu Beginn des 1. Weltkriegs im August 1914 besiegte eine deutsche Armee unter dem Kommando von Hindenburg und Ludendorff im südlichen Ostpreußen nahe Hohenstein/Olsztynek eine russische Armee, die von General Samsonow angeführt wurde. Der russische Befehlshaber nahm sich in den Wäldern von Masuren das Leben. Nach der Schlacht schrieb Ludendorff in sein Tagebuch: „Ich schlug später vor, sie die ‚Schlacht bei Tannenberg‘ zu nennen, als Wiedergutmachung für die Schlacht von 1410” . 1927 wurde in der Nähe von Hohenstein zur Erinnerung an diesen Sieg das gewaltige Nationaldenkmal von Tannenberg enthüllt, das den deutschen „Sieg über das Slawentum” symbolisierte. Hindenburg, der 1934 als Reichspräsident starb, wurde dort begraben. 1945 sprengten deutsche Truppen das Denkmal in die Luft, das später vollständig abgerissen wurde.
Im geteilten Polen wurde der Sieg von Grunwald im 19. Jahrhundert als Sieg über den deutschen Drang nach Osten gefeiert. Von 1872 bis 1878 schuf der polnische Maler Jan Matejko in Krakau das Gemälde Die Schlacht von Grunwald. Auch in dem 1900 erschienenen historischen Roman Die Kreuzritter des Nobelpreisträgers Henryk Sienkiewicz ist die Schlacht von Grunwald der Höhepunkt.
Nach 1945 instrumentalisierte die sozialistische Regierung den Mythos von Grunwald als Symbol der deutschen Niederlage. Gleichzeitig diente die Erinnerung an den Sieg bei Grunwald der nationalen Selbstvergewisserung in den westlichen und nördlichen Regionen, die nach 1945 von Deutschland an Polen gegangen waren. Auf dem Schlachtfeld von 1410 wurde 1960 ein großes Nationaldenkmal mit der Inschrift „Grunwald 1410 – Berlin 1945“ errichtet. Im selben Jahr kam der Film Die Kreuzritter von Aleksander Ford in die polnischen Kinos. Bis 1973 hatten 23 Millionen Menschen den Film gesehen, der mit erheblichen finanziellen Mitteln realisiert wurde und die visuelle Erinnerungskultur für Jahrzehnte prägte. Fast jede polnische Stadt hat eine Grunwaldstraße. Nach 1989 verlor der Grunwald-Mythos seine politische Bedeutung. Heute ist Grunwald ein beliebtes Touristenziel, an dem jedes Jahr ein Reenactment der historischen Schlacht von 1410 mit über 1000 Menschen aus allen Teilen Europas stattfindet.
1910 wurde in Krakau anlässlich des 500. Jahrestags der Schlacht von Grunwald ein Denkmal errichtet. Verärgerte litauische Repräsentanten nahmen nicht an der feierlichen Enthüllung teil. Nachdem Vilnius und seine Umgebung von Lucjan Żeligowski eingenommen worden waren, nahmen die Feindseligkeit gegenüber Polen weiter zu. Nach seiner Unabhängigkeit 1918 entwickelte Litauen eine eigene Erinnerungskultur in Bezug auf die Schlacht von Zalgiris. Vor dem 500. Jahrestag des Todes von Vytautas dem Großen (1930) wurde beschlossen, den Herzog zu würdigen und ihm ein Denkmal zu widmen. Dieses Ehrenmal in Kaunas diente als Gegengewicht zum Monument in Krakau, das an den Sieg in der Schlacht von Grunwald erinnert. Das Denkmal für Vytautas den Großen besteht aus einer Bronzestatue, die über vier Soldaten trohnt – ein Russe, ein Pole, ein Tatar und ein deutscher Kreuzritter – und ein Schwert hochhält . Das Denkmal spiegelte die Absicht der ideologischen Propaganda wider: ein einfaches, verständliches Bild, mit dem man sich identifizieren kann und das für bestimmte moralische Werte steht. Der Bau des Denkmals wurde vor allem von der litauischen Armee gefördert, weshalb entschieden wurde, es auf dem Gelände einer Militäreinheit der litauischen Armee zu errichten. 1952 wurde es auf Anordnung der sowjetischen Behörden zerstört. 1988 beschlossen die Bürger von Kaunas, das Denkmal für Vytautas den Großen wiederaufzubauen. Zu dieser Zeit waren Siegessymbole besonders wichtig und stärkten den Wunsch nach Unabhängigkeit. Über den Standort des Denkmals wurde heftig diskutiert, da die sowjetische Armee zu dieser Zeit noch in Panemunė (einem Stadtteil von Kaunas) stationiert war. Im Rahmen einer öffentlichen Umfrage gingen zahlreiche Vorschläge ein. Es war jedoch offensichtlich, dass die Teilnehmer der Umfrage wollten, dass die Denkmäler der sowjetischen Ideologie entfernt und der Held der Vergangenheit geehrt werden sollte.
Vytautas der Große sollte als ideologische Figur der nationalen Geschichtsschreibung das Selbstverständnis einer homogenen Nation legitimieren. Nach der Diskussion wurde entschieden, das Denkmal für Vytautas den Großen in der Nähe der wichtigsten Fußgängerzone, der Freiheitsallee, aufzustellen, neben dem Gebäude des Exekutiv- und Parteikomitees der Kommunistischen Partei – einem Kreuzungspunkt verschiedener ideologischer Positionen. Heute wird in den Medien darüber diskutiert, ob das Denkmal an einem unpassenden Ort steht, Aggressionen gegen andere Völker befördert, und nach Panemunė umgesetzt werden sollte.
Während des 2. Weltkriegs wurde 1944 der litauische Sportverband Žalgiris, ein Dachverband für Körperkultur und Sport, gegründet. Die offizielle Mitgliederzahl liegt derzeit bei 99 öffentlich registrierten Sportvereinen und –organisationen. Außerdem sind 108 nicht registrierte Sportvereine in die Aktivitäten eingebunden. Rund 15000 Menschen sind Mitglied unter dem Dach von Žalgiris. Viele Straßen und Plätze, Schiffe, ein erfolgreicher Basketballverein und eine Alkoholmarke tragen den Namen „Zalgiris“. Am 15. Juli wird der offizielle Tag der litauischen Landstreitkräfte gefeiert. Ihre Fahne wurde nach dem Vorbild der historischen Standarte mit dem Wappen der Gediminassäulen gestaltet, die 1410 über den Reihen der litauischen Soldaten wehte. Die unterschiedlich Wahrnehmung der Schlacht durch Litauer und Polen wird besonders bei der Bewertung der Rolle der litauischen Armee deutlich. Während der polnische Historiker Jan Długosz die Litauer beschuldigte, vom Schlachtfeld geflohen zu sein, betonen die Litauer, dass es sich um eine vorgetäuschte Flucht und damit ein taktisches Manöver gehandelt habe.
Zum 600. Jahrestag der Schlacht entstand mit finanzieller Unterstützung des litauischen Staats ein Spielfilm. Während die Litauer in dem polnischen Film Die Kreuzritter von 1960 nur eine Nebenrolle spielten, sollte der litauische Film von 2010 die Bedeutung der Litauer in der Schlacht angemessen darstellen.
1901 wurde auf dem Schlachtfeld von Tannenberg von den Deutschen ein Gedenkstein für den Hochmeister Ulrich von Jungingen errichtet. Er trug die Inschrift:
1919 beschreibt der deutsche General Erich Ludendorff in seinen Memoiren, warum er die Schlacht von 1914 „Tannenberg“ nannte:
1933 wurde das Realgymnasium Berlin-Lankwitz in „Tannenberg-Oberschule“ umbenannt. 1990 erhielt die Schule erneut einen neuen Namen – diesmal nach einem Widerstandskämpfer des 2. Weltkriegs. 1933 wurde der Namenswechsel folgendermaßen begründet:
1939 zog der deutsche Historiker Erich Maschke eine Verbindung zwischen den Schlachten von 1410 und 1914:
1977 kritisierte der Journalist Karl-Heinz Janßen die Benennung von Kasernen in Westdeutschland nach Tannenberg:
Anfang September 1939 wurde eilig eine riesige Leinwand aus dem Museum entfernt und zusammen mit Kazanie Skargi (Skargas Predigt), auch ein Gemälde von Matejko, in einer Rolle verstaut. Matejkos Gemälde wurden in einer Kiste nach Lublin gebracht und dort zunächst im Museumsgebäude versteckt. Bevor die Deutschen das Museum einnehmen konnten, wurden sie vergraben, wo sie bis 1944 überlebten. Die Propaganda des Dritten Reichs bezeichnete das Gemälde als Pamphlet und Provokation des Malers. Für die Preisgabe des Verstecks wurde eine Belohnung von zwei Millionen Markausgeschrieben, die später auf zehn Millionen erhöht wurde.
1966 sagte der polnische Erziehungsminister Henryk Jabłoński mit Rückblick auf den 550. Jahrestag der Schlacht von Grunwald im Jahr 1960:
1987 erklärte das „Allpolnische Grunwald-Komitee“, das die jährlichen Feierlichkeiten auf dem Schlachtfeld organisierte, in seinem Programm, 1410 seien zwei Ideologien aufeinandergeprallt:
Das Original von Antoni Wiwulskis (18771919) Meisterwerk in Krakau wurde – wenig überraschend - von den Nazis im 2. Weltkrieg zerstört. Die Kopie, die heute an seinem Platz steht, stammt aus dem Jahr 1976 und wurde akkurat nach Skizzen und Modellen des Originals nachgebildet. Obenauf sitzt König Władysław Jagiełło auf seinem Pferd und zeigt mit seinem Schwert in der rechten Hand nach unten. Vor dem Denkmal steht sein Cousin, der Großherzog von Litauen Vytautas (Vitold), der auf beiden Seiten von siegreichen Soldaten der gemeinsamen Armee flankiert wird. Der Tote im Vordergrund ist Ulrich von Jungingen, der Hochmeister des Deutschen Ordens, der während der Schlacht gefallen ist.
Der litauische Bildhauer Vincas Grybas (18901941) schuf das Denkmal von Vytautas dem Großen in Kaunas. Das Monument wurde 1932 im oberen Teil von Panemunė aufgestellt und 1952 von der sowjetischen Regierung zerstört. Die Kopie, die heute dort steht, entstand 1988 und wurde sorgfältig nach Skizzen und Modellen des Originals nachgebildet. Es zeigt die Bronzestatue des Großherzogs Vytautas mit Schwert. An den Ecken des Sockels sind besiegte Soldaten zu sehen. Sie tragen den Sockel, auf dem Vytautas steht: Ein ruthenischer Soldat mit einem Schild, auf dem der einen Drachen erschlagenden Hl. Georg abgebildet ist. Ein deutscher Kreuzritter mit einem zerbrochenen Schwert und einem Schild mit deutschem Adler zu seinen Füßen, sowie ein tatarischer und polnischer Soldat, jeweils mit einem Schild mit Adler zu ihren Füßen.
Zwischen Text und Jahreszahlen befindet sich ein Medaillon mit einer Karte von Litauen im 14. Jahrhundert.
Professor Sven Ekdahl hat in Archiven einen Brief des Hochmeisters des Deutschen Ordens gefunden, der eine anschauliche und höchst glaubhafte Erklärung für die Ereignisse in Tannenberg enthält.
Jonas Mačiulis-Maironis (18621932) – einer der berühmtesten litauischen Dichter sowie katholischer Priester und Professor – schrieb zahlreiche Gedichte. Einige sind in seiner berühmtesten Gedichtsammlung, Pavasario Balsai (Frühlingsstimmen) enthalten. Das Gedicht Nachrichten sind eingetroffen entstand 1902 in St. Petersburg. Seine Gedichte waren Ausdruck des litauischen Nationalbewusstseins und beförderten die Hoffnung auf Freiheit und Unabhängigkeit. Es ist unbestritten, dass die Autorität von Maironis als Autor eines litauischen Schulbuchs über die litauische Geschichte (1891) aus dieser Zeit eine entscheidende Rolle für die Verankerung des Namens Žalgiris spielte.
Zum 600. Jahrestag der Schlacht von Žalgiris im Jahr 2010 wurde eine 500 Litas Gedenkmünze (Metall Gold Au 999, Durchmesser 33 mm, Gewicht 31,1 g, Stückzahl 5000) herausgegeben. Sie wurde vom Künstler Rytas Jonas Belevičius entworfen und weist am Rand Stilelemente aus dem 15. Jahrhundert auf. Die Münze wurde bei UAB Lithuanian Mint geprägt.
Auf der Vorderseite der Münze ist das hoheitliche Siegel von Vytautas dem Großen abgebildet. Auf der Rückseite sind Szenen der Schlacht von Grunwald zu sehen, mit Illustrationen von Kleidung, Rüstungen und Waffen der Reiter und Fußtruppen jener Zeit. Im Halbkreis ist Die Schlacht von Grunwald 14102010 eingeprägt.